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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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abzufinden, aber Sie müssen sich auf das Schlimmste gefasst machen. Wir wären sehr überrascht, wenn er irgendwelche Reaktionen zeigen würde.«
    Mum machte ein Gesicht, als würde sie Dr. Lloyd am liebsten den Kopf abreißen.
    Stattdessen stellte sie weitere Fragen. Manche Fragen stellte sie immer wieder. Sie beugte sich auf ihrem Stuhl immer weiter nach vorne.
    Dr. Lloyd warf Mary einen Blick zu. Diese nickte fast unmerklich mit dem Kopf.
    »Die Ärzte können die Tests in Ihrer Gegenwart vornehmen, wenn Ihnen das lieber ist«, sagte die Krankenschwester. »Manchmal hilft das den Angehörigen zu begreifen, dass ihre Lieben schon nicht mehr am Leben sind. Immer vorausgesetzt, das ist wirklich der Fall. Allerdings kann das ein traumatisches Erlebnis sein. So etwas vergisst man nicht so leicht.«
    Mums Gesicht hellte sich auf. Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um und blickte Mary an.
    »Aber wir raten davon ab«, fügte Dr. Lloyd hinzu. »Strikt. Das ist nur etwas für den äußersten Notfall.«
    Mary beugte sich vor, um Mum ins Ohr zu flüstern, dass es natürlich ihre Entscheidung sei, was man als Nächstes unternähme, aber ich verstand ihre Worte nicht richtig, denn Mum atmete zu laut.
    Dad legte uns beiden den Arm um die Schulter, als wären wir Kinder, die nicht angeschnallt in einem Auto sitzen, das zu schnell fährt.
    »Nein«, sagte er, »das wollen wir nicht sehen. Keiner von uns. Machen Sie die Tests.«

Siebenunddreißig
    W ir saßen zu dritt auf den bequemen Sitzen im fensterlosen Raum und warteten, während sie die Tests durchführten. Dr. Kang war noch ein wenig dageblieben und hatte uns alle möglichen Dinge erklärt, aber ich hatte kein Wort verstanden. Außer, dass wir uns auf das Schlimmste gefasst machen sollten – aber wie stellte sie sich das vor?
    Sollte Sam nicht auf die Tests reagieren, würden sie die lebenserhaltenden Maßnahmen einstellen. Dann bekämen wir noch ein wenig Zeit, um uns in Ruhe von ihm zu verabschieden, ehe sie die Atemschläuche und Infusionskabel entfernten. Sie sagte, wir sollten uns die Zeit nehmen, die wir bräuchten – aber auch das war lächerlich, denn dafür hätten wir eine Ewigkeit gebraucht.
    Danach würde es nicht mehr lange dauern, bis Sams Herz zu schlagen aufhörte. Wir könnten natürlich die letzten Minuten seines Lebens bei ihm bleiben, sagte sie. Aber das sei allein unsere Entscheidung.
    Dann fragte sie noch, ob Sam möglicherweise als Organspender infrage käme – aber das war zu viel für Mum. »Nein«, sagte sie immer wieder und immer lauter und hielt sich die Ohren zu wie eine Geisteskranke. Dr. Kang blickte ein paar Sekunden zu Boden, dann klärte sie uns über die Tests auf.
    Sie und Dr. Lloyd würden die Untersuchung gemeinsam durchführen. Jeder dieser Tests hörte sich wie eine Foltermethode an – aber genau das war der Sinn der Sache. Kein normaler, lebendiger Mensch würde sie aushalten können.
    Ich machte mir Sorgen um Sam. Wenn er nicht reagierte und sie die Beatmungsgeräte abstellen würden, würde er sich dann fühlen, als ob er erstickte? Dr. Kang schüttelte den Kopf. Sie sagte, er würde dann überhaupt nichts mehr spüren, denn wenn sie das Atemgerät abstellten, wäre er längst tot. Sie sagte, er würde nicht leiden. Aber woher wollte sie das wissen?

Achtunddreißig
    E ndlich öffnet sich die Tür.
    Dr. Kang schüttelt den Kopf. »Es tut mir sehr leid«, sagt sie. »Wir haben getan, was in unserer Macht stand.«
    Der Boden gleitet unter meinen Füßen zur Seite, der Raum beginnt zu schwanken, die Wände blähen sich auf.
    Gegenstände treiben durch das Zimmer, als hätte jemand die Schwerkraft abgestellt.
    Mum gibt ohrenbetäubende Laute von sich. Sie hat den Kopf zwischen die Knie geklemmt.
    Dr. Kang sagt, wir könnten an Sams Seite bleiben, während er von uns geht. Medizinbücher schweben durch die Luft wie Raumschiffe.

Neununddreißig
    D ie Vorhänge um Sams Bett sind zugezogen. Sie sind hellblau und aus abwaschbarem Plastik und öffnen sich mit einem scharfen Reißen, als wir näher treten.
    Er sieht so friedlich aus. Es fühlt sich so falsch an. Mum geht zu ihm. Oh mein Gott, sagt sie. Nein!, stöhnt sie dumpf. Sie legt ihren Kopf auf seine Brust und schluchzt.
    Dad beugt sich über Sam, Stirn an Stirn. Er sagt mein Junge, mein Junge, mein Junge.
    Sams Hand liegt warm in meiner Hand und ich will sie nie mehr loslassen. Ich möchte mich zu ihm legen, so wie früher, wenn wir uns nebeneinander in sein Bett quetschten. Ich

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