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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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will darauf warten, dass seine Haare wieder wachsen und das Grübchen auf seiner Wange wieder zum Vorschein kommt und dass er mich Augäpfelchen nennt. Ich kann das, was gerade passiert, nicht denken. Ich will ihn nicht sehen, wie er jetzt ist – mein Bruder, verkabelt und atmend und tot.
    Mum ringt nach Luft. Sie krallt ihre Finger in Sams Arme, sieht ihn an und schüttelt wie in Trance den Kopf.
    »Das können sie nicht tun, das dürfen sie nicht, sie dürfen das nicht«, schluchzt sie immer und immer wieder. Dad streckt den Arm über das Bett nach Mum aus und legt ihr die Hand auf die Schulter.
    »Er ist tot«, sagt er, und seine Stimme bricht. »Anna, er ist tot.«
    Sams Brust hebt und senkt sich im Rhythmus des Beatmungsgeräts.

Vierzig
    E s ist, als hätte sich ein schwarzer Abgrund in meinem Kopf aufgetan. Die Ärzte geben Mum Medikamente und Dad kauft auf dem Heimweg Whiskey, aber ich bin einfach da und fühle alles.
    Manchmal sind wir in der Küche, dann wieder in Dads Zimmer. Oder ist es jetzt das Zimmer von Mum und Dad? Ich weiß es nicht, aber Dad und ich sind in Pyjamas. Mum trägt Sams marineblaue Adidas-Hose und eines seiner weißen T-Shirts. Wir waschen uns nicht, aber hin und wieder schickt uns Mum zum Zähneputzen. Die Sonne geht auf, der Mond erscheint am Himmel. Dann verschwinden sie wieder hinter dem Horizont.
    Irgendwann kommt ein Brief, der an mich adressiert ist. Aus dem Umschlag gleitet ein feuchtes, zerdrücktes, violettes Etwas. Eine Iris. Sie ist verwelkt und riecht zu süßlich, und ich weiß, was sie zu bedeuten hat: Trick hat es nach Hause geschafft. Ich lege die Iris auf mein Fensterbrett, gleich neben den Zettel mit seiner Adresse. Ich überlege, ob ich ihm schreiben sollte.
    Irgendwann ruft Polizistin Baker an. Sie will wissen, ob ich schon in der Lage bin, meine Zeugenaussage zu machen.
    Mum sagt, dass ich noch nicht so weit bin. Irgendwann klingelt sie an der Haustür. Mum sagt dasselbe noch einmal. Dad sagt gar nichts. Wenn ich in der Nähe des Telefons bin, wenn es klingelt und niemand sonst zuhört, gehe ich ran und lege wortlos auf.
    Irgendwann kommt Father Caffrey, der Priester. Tess ist auch da und wir stellen das Programm für den Gottesdienst zusammen. Wir holen die alten Fotoalben, um ein schönes Bild von Sam auszusuchen. Mum verlässt fluchtartig den Raum und legt sich ins Bett, also suche ich das Foto aus. Ich nehme eines vom letzten Sommer.
    Hin und wieder schaut Tess vorbei. Dann füttert sie die Hunde und die Katzen und stellt Milchflaschen in den Kühlschrank. Sie hat vergessen, den Herd zu heizen – sie wusste nicht, wie das geht –, deshalb ist er ausgegangen. In der Küche ist es jetzt kalt und es wimmelt von Insekten. Auf den Fensterbrettern brummen Schmeißfliegen und Motten. Flatterfalter klatschen an die Neonröhre.
    »Du musst jetzt ein bisschen auf deine Eltern schauen«, hat Tess zu mir gesagt, gleich nachdem wir vom Krankenhaus zurückgekommen sind. Sie hat die Lasagne-Reste von den Tellern gespült und eine Schüssel mit Würzreis in den Kühlschrank gestellt, und ich habe überlegt, ob sie wirklich glaubt, ich hätte nicht so viel verloren wie meine Eltern.
    Draußen hält die Hitzewelle noch immer an und im Haus wird es langsam drückend, als Mum plötzlich beginnt, Fragen zu stellen.
    »Was hat er da draußen eigentlich gemacht?«, fragt sie, und der Klang ihrer Stimme sagt mir, dass die Wirkung der Tabletten längst nachgelassen hat.
    Die Vorhänge sind zugegezogen und mit einem Bettlaken verhängt. Der Frisierspiegel liegt verkehrt herum auf der Kommode.
    Ihre Stimme ist matt und sie spricht langsam und bedächtig. Ich setze mich auf. Das hatten wir schon, endlose Male haben wir im Krankenhaus erzählt, was draußen passiert ist.
    Neben mir rührt sich Dad in den verschwitzten Laken. Er nimmt einen Schluck Whiskey und wiederholt der Reihe nach all die Sätze, die erklären sollen, was an jenem Tag passiert ist.
    »Aber warum war er da draußen?«, fragt Mum. »Mit diesen Jungs. Woher kannte er sie? Und warum hatte er seine Fußballschuhe an?«
    Sie dreht sich zu Dad, der als Einziger noch ausgestreckt auf dem Bett liegt. Sein Kopf ist unbequem abgeknickt und gegen das Kopfstück gestützt. Sein Arm, der inzwischen völlig taub sein muss, klemmt unter dem Kissen, auf dem ich eben noch lag.
    Dad steht auf und geht ans Fenster. Er zieht die Vorhänge und das Tuch zur Seite und blickt nach draußen, presst die Fingerknöchel gegen die Scheibe. Der

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