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Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
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Eigentümer der Villa dei Papiri. Dass dort dennoch eine beträchtliche Auswahl seiner Werke zu finden war, lässt Rückschlüsse zu auf die Interessen des Villenbesitzers und erlaubt Einblicke
in die Zeit, in der Lukrez’ Gedicht entstand. Es war, könnte man sagen, der Höhepunkt eines längeren Prozesses, in dessen Verlauf sich die griechische und die römische Hochkultur miteinander verwoben.
    Nicht immer waren beide einträchtig verbunden gewesen. Unter Griechen galten die Römer lange Zeit als zähe, disziplinierte Leute, mit Überlebenswillen und Eroberungsdrang, zugleich aber auch als Barbaren – »kultivierte Barbaren«, so im maßvollen Blick des alexandrinischen Gelehrten Eratosthenes, anderen erschienen sie eher roh und gefährlich. Als die selbstständigen Stadtstaaten noch blühten, sammelten griechische Denker arkane Überlieferungen über die Römer, so wie sie es auch mit den Kulturen der Karthager und Inder getan hatten, fanden im kulturellen Leben der Römer aber nichts, was ihres Interesses wirklich wert schien.
    Die Römer der frühen Republik hätten solche Urteile nicht einmal als beleidigend abgelehnt. Denn in Rom war man traditionell skeptisch gegenüber Philosophen und Dichtern. Stolz betrachtete sich Rom als Stadt der Tugend und Tatkraft, von blumigen Worten, spekulativen Gedanken und Büchern hielten Römer nichts. 14 Doch schon während Roms Legionen ihre Herrschaft über Griechenland kontinuierlich ausbauten, begann umgekehrt die griechische Kultur nicht weniger kontinuierlich die Köpfe der Eroberer zu kultivieren. Wie eh und je skeptisch gegenüber verweichlichten Kopfmenschen, hielten sich die Römer viel auf ihre praktische Intelligenz zugute, dann aber und mit wachsender Begeisterung erkannten sie die Leistungen griechischer Philosophen und Gelehrten, Schriftsteller und Künstler. Das tat ihrem Spott über das, was sie für einen Fehler des griechischen Charakters hielten, keinen Abbruch, des weiteren spotteten sie über griechische Geschwätzigkeit, die Vorliebe fürs Philosophieren und griechisches Stutzertum. Andererseits schickten ehrgeizige römische Familien ihre Söhne durchaus zum Studium an die philosophischen Akademien, für die Athen berühmt war, und mit ansehnlichen Honoraren wurden griechische Denker wie Philodemus nach Rom gelockt, damit sie dort Unterricht gaben.
    Freilich hätte ein römischer Aristokrat niemals wirkliche Anerkennung geerntet, wenn er sich als glühender Hellenist offenbarte. Gebildete Römer, wenn sie denn über Kenntnisse des Griechischen oder Kennerschaft in Sachen griechischer Kunst verfügten, fanden es schicker, das
herunterzuspielen. Gleichwohl schmückten sie ihre Tempel und öffentliche Plätze mit prächtigen Statuen, die römische Legionen in den eroberten Städten des griechischen Festlands und auf dem Peloponnes gestohlen hatten; selbst kampfgestählte römische Feldherren staffierten ihre Villen mit feinen griechischen Vasen und Skulpturen aus.
    Die Dauerhaftigkeit von Stein und gebranntem Ton erleichtert uns zu verfolgen, wie sich griechische Artefakte in Rom verbreiteten, in seinem vollen Gewicht aber lässt sich kultureller Einfluss eher an Büchern ablesen. Dem kriegerischen Charakter der Stadt entsprechend, gelangten die ersten großen Sammlungen als Kriegsbeute nach Rom. 167 v.u.Z. besiegte der römische General Aemilius Paulus den makedonischen König Perseus, womit die Dynastie erlosch, die auf Alexander den Großen und dessen Vater Philipp zurückging. Perseus und seine drei Söhne wurden während der Siegesparade in Ketten hinter dem Triumphwagen durch Roms Straßen geführt. In der Tradition der nationalen Kleptokratie schickte Aemilius Paulus enorme Mengen Raubgut, um Roms Schatzkammern zu füllen. Für sich und seine Nachkommen aber reservierte der Eroberer nur einen Preis: die Bibliothek des gefangenen Monarchen. 15 Diese Geste war natürlich ein Zeichen für das persönliche Glück des aristokratischen Feldherrn, aber auch ein spektakuläres Signal für den Wert griechischer Bücher und der Kultur, die jene verkörperten.
    Andere machten es Aemilius Paulus nach, und es wurde unter reichen Römern geradezu Mode, in ihren Stadthäusern und Landvillen umfangreiche Privatbibliotheken zusammenzutragen. (In diesen frühen Jahren gab es in Rom noch keine Buchläden, doch konnte man die als Beutegut konfiszierten Sammlungen ergänzen, indem man in Süditalien und auf Sizilien Bücher kaufte, in Städten wie Neapolis, Tarentum

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