Wende
einen Armbrustschützen und zwei weitere Begleiter, auch sie vermummt. Am Abend und im Lauf der Nacht verließ auch das Gefolge des Papstes – seine Diener, Begleiter, Sekretäre – so unauffällig wie möglich die Stadt. Und bald schon war es herum: Johannes XXIII. hatte sich abgesetzt. 16
In den folgenden Wochen verfassten Cossas Gegner, die ihn den Rhein hinab nach Schaffhausen verfolgt hatten, wo er in der Burg eines Verbündeten Zuflucht gefunden hatte, eine Anklageschrift gegen ihn. Als beunruhigende
Gerüchte zu ihm drangen und auch die letzten Verbündeten einknickten, floh er erneut, wieder in Verkleidung. Seinen Hofstaat, und mit ihm vermutlich auch den apostolischen Sekretär Poggio, stürzte das in immer größere Verwirrung. Wie ein zeitgenössischer Chronist berichtet, folgten ihm die Mitglieder der Kurie in hastiger Eile und wildem Durcheinander, alle seien sie nun des Nachts auf der Flucht gewesen, allerdings »ohne Verfolger«. 17 Schließlich, unter großem Druck des Kaisers, lieferte Cossas wichtigster Beschützer den unwillkommenen Gast in Freiburg im Breisgau aus, und die Welt erlebte das erbauliche Schauspiel eines Papstes, der wie ein Verbrecher inhaftiert und im Heidelberger Schloss festgesetzt wurde.
Siebzig Anklagepunkte wurden förmlich gegen ihn verlesen. 18 Aus Furcht vor deren Wirkung auf die Meinung des Volkes entschied sich das Konzil, die sechzehn skandalösesten zu unterdrücken – sie wurden bis heute nicht veröffentlicht –, und warf dem Papst nur Simonie (Ämterschacher), Sodomie, Vergewaltigung, Inzest, Folter und Mord vor. Auch seinen Vorgänger samt dessen Arzt und anderen sollte er vergiftet haben. Am gravierendsten jedoch – zumindest unter den öffentlich gemachten Anklagepunkten – war jener, den seine Ankläger aus dem alten Arsenal des Kampfes gegen den Epikureismus hervorzerrten: Der Papst habe vor anerkannten Personen unbeirrt darauf beharrt, dass es kein zukünftiges Leben gebe und auch keine Auferstehung, die Seelen der Menschen, so habe er gesagt, verschwänden mit ihren Körpern, wie beim Vieh.
Am 29. Mai 1415 wurde Cossa förmlich des Amtes enthoben. Aus der Liste der offiziellen Päpste gestrichen, war der Name Johannes XXIII. erneut verfügbar, allerdings dauerte es über fünfhundert Jahre, bis 1958, ehe ein anderer Papst – der bemerkenswerte Angelo Roncalli – den Mut fand, den Namen anzunehmen.
Kurz vor seiner Absetzung war auch Cossa in der Burg von Gottlieben am Rhein inhaftiert gewesen, wo Hus, dem Hungertod nahe und in Ketten geschlagen, über zwei Monate verbringen musste. Es ist nicht bekannt, ob Papst und Ketzer, plötzlich und fast unglaublich in erbärmlichem Elend vereint, von ihren Wärtern zusammengebracht wurden. Zu diesem Zeitpunkt wird sich Poggio, sofern er seinem Herrn noch immer die Treue hielt – die Aufzeichnungen sind nicht klar in diesem Punkt –, endgültig
von ihm verabschiedet haben. 19 Alle ehemaligen Bediensteten des Papstes wurden entlassen. Der Gefangene, bald an einen anderen Haftort verbracht, hatte von da an allein Deutsch sprechende Wärter um sich, mit denen er sich allenfalls gestikulierend unterhalten konnte. Von der Welt abgeschnitten, beschäftigte er sich mit dem Verfassen von Versen über die vergängliche Natur alles Irdischen.
Plötzlich standen die Männer des Papstes ohne ihren Herrn da. Manche bemühten sich sofort um eine Stelle bei einem der in Konstanz versammelten Prälaten oder Fürsten. Poggio dagegen blieb ohne Posten, ein Zuschauer der Ereignisse, in denen er nicht mehr Partei war. Er reiste auch nicht ab, wir wissen allerdings nicht, ob er in Konstanz miterlebt hat, wie Jan Hus schließlich vor das Konzil gebracht wurde – eine Gelegenheit, die der Reformator gesucht, für die er sogar sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Doch als er anhob, zu den Versammelten zu sprechen, wurde er verspottet und niedergebrüllt. Er hätte abschwören können, dies jedoch verweigerte er. Also wurde Hus am 6. Juli 1415, in einer feierlichen Zeremonie im Konstanzer Münster, als Ketzer zum Feuertod verurteilt. Man nahm ihm den Priesterrock, setzte ihm eine fast fünfundvierzig Zentimeter hohe Papierkrone auf, auf der eine Seele zu sehen war, die von drei Teufeln ergriffen und zerrissen wird. Dann wurde er in Ketten aus dem Münster geführt, vorbei an einem Scheiterhaufen, auf dem seine Bücher brannten, hin zur Richtstätte am Bühl, wo man ihn verbrannte. Damit nichts mehr an ihn erinnere,
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