Wende
wurden seine Knochen zerbrochen und mit der Asche in den Rhein gestreut.
Es gibt keinen direkten Bericht darüber, was Poggio von diesen Vorgängen hielt, an denen er in einer kleinen Rolle mitgewirkt hatte, in der eines Bürokraten, der mithalf, ein System in Gang zu halten, das er für unmoralisch und hoffnungslos verdorben hielt. Wenn ihm danach gewesen wäre und er tatsächlich gesagt hätte, was er dachte, hätte er sich in Gefahr gebracht; zudem stand er im Dienst des Papsttums, dessen Macht Hus in Frage gestellt hatte. (Ein Jahrhundert später sagte Luther, der einen erfolgreicheren Angriff auf die Kirche begonnen hatte: »Wir sind alle Hussitten, ohne es zu wissen.«) Als jedoch, einige Monate später, Hus’ Amtskollege Hieronymus von Prag ebenfalls wegen Ketzerei vor Gericht gestellt wurde, vermochte Poggio nicht mehr zu schweigen.
Hieronymus, ein kraftvoller Reformer mit Doktorgraden der Universitäten von Paris, Oxford und Heidelberg, war ein berühmter Prediger und Redner, dessen Zeugnis vom 26. Mai 1416 Poggio sehr beeindruckt hat. »Ich muss gestehen«, schrieb er an seinen Freund Leonardo Bruni, »dass ich niemals jemanden sah, der in einem Prozess plädierte, dazu in einem Fall, von dem das eigene Leben abhing, der dem Niveau antiker Redegewandtheit, die wir so sehr bewundern, so nahe gekommen wäre.« Poggio muss gewusst haben, auf welch gefährlichen Grund er sich begab, doch päpstlicher Beamter oder nicht, er konnte die leidenschaftliche Bewunderung des Humanisten nicht völlig unterdrücken:
Es war erstaunlich mitzuerleben, mit wie gewählten Worten, mit wie dichten Argumenten, mit welcher Zuversicht er seinen Gegnern antwortete. So beeindruckend war sein Auftreten, dass man sich doch sehr wundert, dass ein Mann von so edlem und ausgezeichnetem Geist sich in Ketzerei verirrt haben sollte. Ich kann mir nicht helfen, in diesem letzteren Punkt hege ich einige Zweifel. Doch es sei mir fern, hier, in einer so heiklen Angelegenheit, eine Entscheidung zu fällen. Ich sollte mich der Meinung jener fügen, die weiser sind als ich. 20
Diese Versicherung Poggios, er wolle sich fügen, konnte Bruni, wie dessen Antwort zeigt, nicht beruhigen: »Ich muss dir raten, in Zukunft über solche Themen in einer bedachteren Weise zu schreiben.«
Was hatte Poggio, der normalerweise durchaus darauf achtete, sich keiner wirklichen Gefahr auszusetzen, bewegt, derart ungeschützt an seinen Freund zu schreiben? Vielleicht verweist diese Unbesonnenheit auf den Schrecken, den er gerade durchlebt hatte: Der Brief ist auf den 30. Mai 1416 datiert, den Tag, an dem Hieronymus hingerichtet wurde. Poggio schrieb also unter dem Nachhall eines, wie wir vom Chronisten Richental wissen, besonders schrecklichen Ereignisses, dessen Zeuge er wurde. Als der siebenunddreißigjährige Hieronymus aus der Stadt geführt wurde, an den Platz, an dem auch Hus verbrannt worden war und wo ihm nun das gleiche Ende drohte, sprach er wiederholt das Glaubensbekenntnis und sang die Litanei. Wie schon bei Hus wollte auch von ihm niemand das
Glaubensbekenntnis hören; dieses Sakrament stand einem Ketzer nicht zu. Hus hatte, als das Feuer entzündet wurde, aufgeschrieen und war rasch gestorben. Dieses Schicksal aber war, wie Richental berichtet, Hieronymus nicht vergönnt: »Und lebt in dem für (Feuer) vast lenger dann der Huss und schrayg vast grülich (schreit so gräulich), dann er war in vaißter starker man (ein feister starker Mann) mit ainem schwartzen diken und großen bart.« 21 Vielleicht erklären diese schrecklichen Schreie, warum Poggio nicht länger klug zu schweigen vermochte, sich vielmehr gezwungen sah, Hieronymus’ Sprachgewalt zu bezeugen.
Kurz bevor ihn Hieronymus’ Verfahren und Hinrichtung derart trafen, hatte sich Poggio, in der Hoffnung, den Rheumatismus zu lindern, der seine Hände befallen hatte – eine schwere Sorge für einen Schreiber –, entschlossen, die berühmten Heilquellen der Stadt Baden zu besuchen. Es war dies keine ganz einfache Reise von Konstanz aus, erst »sechs kleine Meilen« auf dem Rhein abwärts bis Schaffhausen, wohin der Papst geflohen war, dann, weil der Rhein hier schon unschiffbar um Felsen schäumt, »anderthalb Meilen zu Fuß« bis zu einer »Kaisersstul« genannten Burg. Von dort aus konnte Poggio den eigentlichen Rheinfall sehen, dessen Getöse ihn daran denken ließ, »was man von den Katarakten des Nils erzählet«. 22
In den Badehäusern im schweizerischen Baden verwunderte Poggio,
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