Wende
wohl beurteilen und sollten dies auch tun. (Es sei, lehrte er, allemal besser, ein guter
Christ zu sein als ein sündiger Papst oder Prälat.) Ein Papst, der unmoralisch lebe, könne nicht gut Unfehlbarkeit für sich reklamieren. Zuletzt sei das Papsttum doch eine menschliche Einrichtung – nirgendwo in der Bibel finde man das Wort »Papst«. Moralische Rechtschaffenheit sei die Probe des wahren Priesters, und wenn man ihn sündig finde, dann sollte man daraus, »aus seinen Taten« erkennen, dass er »nicht gerecht, sondern ein Feind Christi« ist. Und ein solcher Feind könne nur des Amtes enthoben werden. 12
Daran ist unschwer zu erkennen, warum Hus 1410 wegen seiner Schriften exkommuniziert worden war und warum die kirchlichen Würdenträger sich über seine Weigerung zu widerrufen erregten. Geschützt von mächtigen böhmischen Adligen aber konnte er weiterhin seine gefährlichen Ansichten vortragen, von denen man fürchten musste, dass sie sich über Böhmens Grenzen hinaus verbreiten würden. Und man sieht auch, warum sich Cossa in seiner Bedrängnis ausrechnete, es könnte für ihn von Vorteil und mehr als bloße Ablenkung sein, wenn er die Aufmerksamkeit des Konzils auf Hus lenkte. Denn der Böhme, den das Kirchenestablishment ebenso fürchtete wie hasste, verkündete als Prinzip genau das, was Cossas Feinde in eben dieser Kirchenhierarchie zu tun gedachten: einem Papst wegen des Vorwurfs der Korruption den Gehorsam zu verweigern und ihn aus dem Amt zu jagen. So hilft uns dieser unbequeme Spiegel die merkwürdige Anschuldigung zu verstehen, die in Konstanz gegen Hus die Runde machte: Er sei, hieß es, ein Magier mit außergewöhnlichen Kräften, der die Gedanken all jener lesen könne, die sich ihm bis zu einem gewissen Abstand näherten. 13
Hus, der mehrfach um die Möglichkeit gebeten hatte, sich vor einem Kirchenkonzil zu erklären, war förmlich eingeladen worden, seine Ansichten persönlich vor den in Konstanz versammelten Prälaten, Theologen und Herrschern vorzustellen. Der tschechische Reformer hatte das verblendete Vertrauen eines Visionärs, dass seine Wahrheiten, bekäme er nur Gelegenheit, sie klar zu artikulieren, Unwissenheit und falschen Glauben hinwegfegen würden wie Spinnweben.
Nun war gegen ihn der Vorwurf der Ketzerei erhoben worden, also musste Hus verständlicherweise vorsichtig sein. Hatte er doch kurz zuvor erlebt, dass drei junge Männer, zwei davon seine Schüler, geköpft worden
waren. Bevor er die relative Sicherheit bei seinen Beschützern aufgab und Böhmen verließ, bat er den Großinquisitor der Diözese Prag um ein Zeugnis seiner Rechtgläubigkeit und bekam es auch, ebenso freies Geleit durch Kaiser Sigismund. Dieses Dokument mit dem kaiserlichen Siegel garantierte »Schutz und Geleit« und verfügte, Hus »frei und sicher ... durchreisen, verweilen, anhalten oder umkehren« zu lassen. Die böhmischen Adligen, die ihn begleiteten, ritten voraus, um den Papst zu treffen und von diesem zu hören, ob Hus erlaubt werde, in Konstanz ohne das Risiko der Gewalt zu verweilen. »Und wenn er meinen Bruder getötet hätte«, so die Antwort des Papstes, »nicht ein Haar auf dem Kopf würde ihm gekrümmt, solange er in der Stadt weilt.« Mit dieser Versicherung erreichte der Reformer Konstanz, nicht lange nach dem bedrängten Papst.
Das war am 3. November 1410, und Hus’ Ankunft muss, so wie dessen Dinge standen, für Johannes XXIII. ein Gottesgeschenk gewesen sein. Der Ketzer wurde von den Aufrechten in der Kirche ebenso gehasst wie von den Buckelnden. Hus und sein hauptsächlicher Bundesgenosse Hieronymus von Prag waren, wie allgemein bekannt, Anhänger des Engländers John Wycliffe, der im Jahrhundert zuvor als Ketzer verurteilt worden war, weil er die Übersetzung der Bibel in die Landessprachen befürwortet, den auf der Schrift gründenden Glauben über die Werke gestellt und den Reichtum der Kirche sowie den Ablasshandel verurteilt hatte. Wycliffe war an einem Schlaganfall gestorben, sehr zum Missvergnügen seiner innerkirchlichen Gegner; doch nun beschloss und verfügte das Konzil, dass seine Gebeine auszugraben und aus geweihter Erde zu entfernen seien. Das waren keine guten Zeichen für die Aufnahme von Jan Hus.
Trotz der Zusicherungen, die er von Papst, Konzil und Kaiser erhalten hatte, wurde der Böhme ziemlich rasch geschmäht, und man entzog ihm die Erlaubnis, öffentlich zu predigen. Am 28. November, kaum drei Wochen nach seiner Ankunft, wurde er auf Befehl der
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