Wende
was er sah. Seinem Freund Niccoli in Florenz schreibt er:
Lächerlich ist es anzusehen, wie beides, alte Mütterchen und junge Mädchen, vor den Augen Aller hinabsteigen und sich, nackt wie sie sind, den Blicken der Männer preisgeben.
Zwar gebe es zwischen den Badeabteilungen für Männer und für Frauen eine Art Gitterwerk, doch: »Gewisse Scheidungen von Brettern trennen sie zwar, allein es sind in denselben viele niedergelassene Fensterchen angebracht, durch welche man zusammen trinken und reden, von beyden Seiten sich sehen und berühren kann, wie dieses denn häufig geschieht.« Poggio weigerte sich, »ob man mir gleich sehr zusetzte«, selbst das Bad zu besuchen,
und das nicht aus Scham, die man hier für Trägheit und Mangel an Lebensart hält, sondern weil ich der Sprache nicht mächtig war. Es kam mir abgeschmackt vor, daß ein der teutschen Sprache unkundiger Italiäner stumm und sprachlos, zwischen zarten Mädchens einen ganzen Tag im Bade blos mit Essen und Trinken zubringen sollte.
Doch er beobachtete das muntere Treiben von einer Galerie, die um das Bad herumlief, und beschrieb, was er sah, mit dem Erstaunen, mit dem ein Mann aus Saudi-Arabien den Badebetrieb am Strand von Nizza betrachten würde. Es gab, wie er feststellte, so etwas wie Badeanzüge, doch sie verdeckten wenig:
An vielen Stelen gehen sogar Männer und Weiber durch einen Eingang ins Bad, und nicht selten trägt es sich zu, dass ein Mann einem nackten Frauenzimmer, das Frauenzimmer einer nackten Mannsperson begegnet. Doch binden die Männer eine Art von Schürze vor, und die Weiber sind mit einem leinenen Gewande bekleidet, welches aber von oben bis in die Mitte, oder an der Seite ganz offen ist, dass weder Hals, noch Brust, noch Arme, noch Schultern davon bedeckt sind.
Was in Poggios Italien für Aufruhr und möglicherweise Gewalttätigkeiten gesorgt hätte, schien in Baden das Normalste der Welt zu sein:
Wunderbar ist das Zutrauen, mit welchem die Männer Fremde unter ihren oft saubern Weiberchens herumtändeln sahen. Sie wurden dadurch nicht beunruhigt, schienen nichts zu bemerken, nahmen alles auf das Beste. Nichts ist so schwer, das nach ihren Sitten nicht federleicht würde. Sie hätten sich vortrefflich in Platons Republik geschickt, deren Gesetze alles gemein machen.
Die Rituale des gesellschaftlichen Lebens in Baden hatten etwas Traumartiges für Poggio, als würden die versunkenen Welten von Jupiter und Danae heraufbeschworen. In einigen Bädern habe man gesungen und getanzt, und einige der jungen Frauen – »in voller Blüthe stehende Jungfrauen
nackend im Wasser, mit dem schönsten Gesicht, der freiesten offensten Miene, an Gestalt und Sitten Göttinnen gleich« – schwebten auf dem Wasser, während die Musik erklang: »Ihr leichtes Gewand ist zurückgeworfen, und schwimmt auf dem Wasser, dass man so ein Mädchen für eine zweite Venus halten sollte.« Wenn Männer zu ihnen heruntersähen, hätten die Mädchen die Angewohnheit, sie »scherzweise um eine Gabe zu bitten«. Die Männer würfen Münzen herab, vor allem nach der Hübschesten, sowie Blumengebinde, und die Mädchen fingen diese auf, manchmal mit den Händen, manchmal in den Kleidern, die sich dann noch weiter öffneten. Da er nur zweimal im Bade gewesen sei, habe er die übrige Zeit mit »Besuchung anderer Bäder« zugebracht, wo er »oft Münzen herunterwarf und Kränze«, wie er gesteht.
Unbeschwert und vergnügt seien die Menschen: »Alle nämlich haben einerley Absicht, Traurigkeit zu verbannen, Vergnügen zu suchen, keinen Gedanken zu haben, als wie sie des Lebens und seiner Freuden genießen mögen.« Manchmal seien fast tausend Menschen in den Bädern, viele tränken heftig, und doch gebe es keinen Streit, kein Gezänk, kein Geschimpfe und Gefluche, und schon gar keine Eifersucht, für die den Menschen dort sogar »der Namen fehle«. In diesem einfachen, spielerischen und naiven Verhalten, das er beobachtete, meinte Poggio die Vergnügungen und die Zufriedenheit zu entdecken, die seine Kultur verloren habe.
Öfters beneide ich die Gemütsruhe dieser Leute, und verfluche unsere verderbte Denkungsart ... Wir erbeben vor künftigem Elend, werden vom immerwährenden Kummer, ewiger Angst umher getrieben; um nicht unglücklich zu werden, hören wir nie auf, unglücklich zu seyn, starren mit unverwandten Blicken das Gold an, und gönnen weder der Seele, noch dem Leibe eine Erholung. Diese Glücklichen hingegen, mit wenigem vergnügt, leben nur für
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