Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wende

Wende

Titel: Wende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Greenblatt
Vom Netzwerk:
begehren. Morus war in seinen Überzeugungen ohne Zweifel von seinem glühenden Katholizismus geprägt, doch auch Machiavelli, der gewiss weniger gläubig und fromm war als der heilige Morus, kam zu eben dieser Zeit zu nämlichen Schlüssen. Gesetze und Sitten seien, wie der Autor von Der Fürst ausführt, wertlos, wenn sie nicht mit Furcht bewehrt seien.
    Morus versuchte sich vorzustellen, was man tun müsse, wenn es nicht nur darum geht, bestimmten Individuen ein aufgeklärtes Leben zu ermöglichen, wenn man vielmehr eine ganze Gesellschaft dazu bringen will, Grausamkeit und Unordnung zu überwinden, die Güter des Lebens gleichmäßig zu verteilen, sich um das Prinzip des Glücksstrebens zu organisieren und die Galgen niederzureißen. Diese, so sah es Morus, könnte man bis auf einige wenige abschlagen, aber nur dann, wenn man die Menschen dazu brächte, an Galgen (und Belohnungen) im Jenseits zu glauben. Ohne solch imaginäre Ergänzungen würde die soziale Ordnung unweigerlich zusammenbrechen, weil dann jeder Einzelne nur seine Wünsche erfüllen würde:
    Denn wem kann ein Zweifel darüber bleiben, daß ein Solcher die öffentlichen vaterländischen Gesetze entweder hinterlistig heimlich umgehen, oder sie gewaltsam übertreten wird, da er nur seinen persönlichen Lüsten dient, wenn er über die Gesetze hinaus nichts fürchtet und keine Hoffnung weiter hegt, als für seinen Körper. (S. 146)
    Morus war durchaus bereit, die öffentliche Hinrichtung eines jeden zu billigen, der etwas anderes lehrte oder dachte.
    Morus’ imaginäre Utopier haben ein praktisches, funktionales Motiv, den Glauben an die Vorsehung und an ein Leben nach dem Tod durchzusetzen: Sie glauben, keinem trauen zu können, der diesen Glauben nicht teilt. Doch Morus selbst, der tiefgläubige Christ, hatte ein anderes Motiv: Worte Jesu selbst. »Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.« (Mt 10:29f.) Es waltet, nach Hamlets Paraphrase dieser Verse, »eine besondere Vorsehung über den Fall eines Sperlings« ( Hamlet , V:2). Welcher Christ würde wagen, dies zu bestreiten?
    Einen gab es, den ehemaligen Dominikanermönch Giordano Bruno. Mitte der 1580er Jahre befand sich Bruno, der aus seinem Kloster in Neapel geflohen und rastlos durch Italien und Frankreich gewandert war, in London. Brillant, verwegen, von bezauberndem Charisma und zugleich unerträglich streitsüchtig, fristete er sein Leben, indem er die Unterstützung von Gönnern zusammenstoppelte, ars memoria lehrte, die Gedächtniskunst, Vorlesungen hielt zu verschiedenen Aspekten dessen, was er die »Philosophie des Nolaners« nannte – seine Philosophie also, denn er nannte sich selbst nach der kleinen Stadt bei Neapel, aus der er stammte. Diese Philosophie, eine wirre, überschäumende, häufig verblüffende Mixtur, hatte mehrere Wurzeln, eine davon war der Epikureismus. Offenbar, dafür gibt es viele Hinweise, hat De rerum natura Brunos ganze Welt durcheinandergebracht und verwandelt.
    Während seiner Zeit in England schrieb und veröffentlichte Bruno eine Flut seltsamer Werke. Um sich einen Eindruck von der außerordentlichen Kühnheit dieser Arbeiten zu verschaffen, genügt es, sich die Implikationen nur einer Passage aus einer dieser Schriften vor Augen zu führen, aus Spaccio de la bestia trionfante (1584, dt. Die Vertreibung der triumphierenden
Bestie). Diese Passage ist lang, doch ist deren Ausführlichkeit schon Teil dessen, was zuletzt bewiesen werden soll. Merkur, der Götterbote, zählt Sofia (der »Weisheit«) auf, was Zeus ihm zu besorgen aufgetragen habe:
    Er hat verfügt, daß heute Mittag von den Melonen im Melonengarten des Franzino zwei Melonen vollständig reif werden, daß sie aber nicht eher als drei Tage später, wenn sie schon nicht mehr gut zu essen sind, gepflückt werden dürfen. Er will, daß zur selben Zeit in dem Weinberge, der sich am Fuße des Berges Cicala im Hofe des Gioan Bruno befindet, 30 Trauben vollständig ausreifen, 17 überreif zu Boden fallen, 15 von Würmern angenagt werden; daß Basta, die Frau des Albenzio, beim Brennen ihrer Haarlöckchen an den Schläfen, weil sie die Brennschere zu heiß gemacht hat, sich 57 Haare versengt, ohne sich jedoch die Kopfhaut zu brennen, daß sie aber für diesmal, wenn sie den schnöggenden Geruch merkt, nicht fluche, sondern sich geduldig darein ergebe; ferner daß in dem Miste der Rinder des Albenzio 250 Mistkäfer

Weitere Kostenlose Bücher