Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
jeden Schritt, der zu tun war. Alles war für mich glasklar.
    «Wem gehört das Geld auf der Bank?» fragte ich. «Ihrem Vater oder dir?»
    «Es gehört mir!» rief er aus. «Meine Mutter hat es mir geschickt. Ich will nichts von ihrem verdammten Geld!»
    «Das ist famos!» sagte ich. «Paß auf, angenommen wir nehmen einen Wagen und fahren zurück auf die Bank. Heben jeden Cent ab. Dann gehen wir aufs Britische Konsulat und lassen uns ein Visum geben. Du steigst heute nachmittag in den Zug nach London. Von London nimmst du das erste Schiff nach Amerika. Das ist mein Vorschlag, denn dann brauchst du nicht zu befürchten, daß sie dir auf die Spur kommt. Sie wird nie vermuten, daß du über London gefahren bist. Wenn sie nach dir sucht, geht sie natürlich zuerst nach Le Havre oder Cherbourg. Und dann noch etwas: du gehst nicht heim, um deine Sachen zu holen. Du läßt alles hier. Mag sie sie behalten. Bei ihrer französischen Mentalität wird sie sich nie träumen lassen, daß du ohne Sack und Pack abgehauen bist. Das wird ihr unglaubhaft erscheinen. Einem Franzosen würde es nie einfallen, so etwas zu tun … es sei denn, er wäre ebenso verrückt wie du.»
    «Du hast recht!» rief er aus. «Daran habe ich nie gedacht. Nebenbei bemerkt, du kannst sie mir später nachschicken – wenn sie sie herausgibt! Aber das spielt jetzt keine Rolle. Mein Gott, ich habe nicht einmal einen Hut!»
    «Wozu brauchst du einen Hut? Wenn du nach London kommst, kannst du alles Nötige dort kaufen. Alles, was dir jetzt not tut, ist Eile. Wir müssen herausfinden, wann der nächste Zug fährt.»
    «Hör zu», sagte er, wobei er nach seiner Brieftasche griff, «ich überlasse alles dir. Hier, nimm und tu, was nötig ist. Ich bin zu schwach … Mir ist ganz schwindlig.»
    Ich griff nach der Brieftasche und entnahm ihr die Banknoten, die er soeben abgehoben hatte. Ein Taxi stand am Straßenrand. Wir sprangen hinein. Es gab einen Zug, der etwa um vier Uhr von der Gare du Nord abging. Ich rechnete es mir aus: die Bank, das Konsulat, der American Express, der Bahnhof … Fein! Gerade zu schaffen.
    «Jetzt Kopf hoch!» ermunterte ich ihn. «Und mach dir nicht in die Hosen. Scheiße, in ein paar Stunden schwimmst du über den Kanal. Heute abend spazierst du in London herum und hörst englisch zur Genüge. Morgen schwimmst du auf offener See und dann, weiß Gott, bist du ein freier Mensch und brauchst dich den Teufel darum zu scheren, was passiert. Wenn du nach New York kommst, wird all das nur noch ein böser Traum sein.»
    Das versetzte ihn in eine solche Aufregung, daß seine Füße krampfhaft zuckten, als versuche er, im Wagen zu laufen. In der Bank zitterten seine Hände so, daß er kaum imstande war, zu unterschreiben. Das war etwas, was ich nicht für ihn erledigen konnte – seinen Namen schreiben. Aber ich glaube, wenn es nötig gewesen wäre, hätte ich ihn auf den Lokus gesetzt und ihm den Hintern abgewischt. Ich war entschlossen, ihn aufs Schiff zu bringen, auch wenn ich ihn zusammenlegen und in einen Koffer hätte packen müssen.
    Es war Mittag, als wir zum Britischen Konsulat kamen, und es war geschlossen. Das bedeutete, daß wir bis um zwei Uhr warten mußten. Mir fiel nichts Besseres ein, um die Zeit totzuschlagen, als zum Essen zu gehen. Fillmore hatte natürlich keinen Hunger. Er war für ein Schinkenbrot. «Scheiße!» sagte ich. «Du ißt jetzt richtig mit mir. Es ist vielleicht die letzte anständige Mahlzeit, die du für lange Zeit hier bekommst.» Ich schleppte ihn in ein gemütliches kleines Restaurant und bestellte ein ordentliches Essen. Ich wählte den besten Wein auf der Karte, ohne Rücksicht auf den Preis oder den Geschmack. Ich hatte sein ganzes Geld in der Tasche – eine Unmenge, wie mir schien. Jedenfalls hatte ich nie zuvor auf einmal so viel in Händen gehabt. Es war ein Genuß, einen Tausendfrancsschein zu wechseln. Ich hielt ihn zuerst gegen das Licht, um das hübsche Wasserzeichen zu betrachten. Ein schönes Geld! Eines der wenigen Dinge, das die Franzosen in einem großzügigen Stil machen. Auch künstlerisch gestaltet, als hegten sie eine tiefe Liebe sogar zum Symbol.
    Nach dem Essen gingen wir in ein Café. Ich bestellte Chartreuse zum Kaffee. Warum nicht? Und ich wechselte einen weiteren Schein, diesmal eine Fünfhundertfrancsnote. Es war ein sauberer, neuer, knisternder Schein. Ein Vergnügen, solches Geld anzufassen. Der Kellner gab mir einen Haufen schmutziger alter Scheine zurück, die mit

Weitere Kostenlose Bücher