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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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geschehen, in seinem Monolog fortzufahren, wobei er das Wort öfter und öfter und jedesmal mit liebevollerem Ton wiederholte. Es sei seine Seele, wovon die Frauen Besitz zu ergreifen versuchten – soviel machte er mir klar. Er hat es mir wieder und wieder erklärt, aber er kommt immer aufs neue darauf zurück wie ein Verfolgungswahnsinniger auf seine Zwangsvorstellung. In gewissem Sinne ist Van Norden geisteskrank, davon bin ich überzeugt. Seine einzige Furcht ist, allein gelassen zu werden, und diese Furcht sitzt so tief und ist so dauerhaft, daß er, sogar wenn er auf einer Frau liegt, sogar wenn er sich mit ihr vereinigt, nicht dem Kerker entrinnen kann, den er sich selber schuf. «Ich versuche alles Mögliche», erklärt er mir. «Ich zähle sogar manchmal oder denke über ein philosophisches Problem nach, aber es hilft nichts. Es ist, als wäre ich zwei Menschen, von denen der eine mich dauernd beobachtet. Ich werde so verdammt wütend auf mich selbst, daß ich mich umbringen könnte … und in gewisser Weise tue ich das ja auch jedesmal, wenn ich einen Orgasmus habe. Für die Dauer einer Sekunde lösche ich mich gleichsam aus. Dann ist nicht einmal ein Ich vorhanden … nichts … nicht einmal die Pritsche. Es ist wie der Empfang der Kommunion. Ehrlich, es ist mir ernst. Ein paar Sekunden danach ist ein schöner, geistiger Glanz in mir … und vielleicht ginge es so ohne Ende weiter, wer weiß? – wenn da nicht neben einem eine Frau wäre und dann die Spülspritze und das rauschende Wasser … all diese Kleinigkeiten, die einen wieder verzweifelt seiner selbst bewußt, verzweifelt einsam machen. Und für diesen Augenblick der Freiheit muß man diesen ganzen Quatsch über Liebe anhören … es macht mich manchmal ganz verrückt. Ich möchte sie sofort hinauswerfen … hin und wieder tu ich’s auch. Aber das hält sie nicht ab. Sie mögen es sogar. Je weniger man sich um sie kümmert, desto mehr sind sie hinter einem her. Den Frauen haftet etwas Perverses an … im Grunde sind sie alle Masochistinnen.»
    «Aber was willst du dann von den Weibern?» frage ich.
    Er beginnt, seine Hände zu kneten. Seine Unterlippe fällt herunter. Er sieht völlig niedergeschlagen drein. Als es ihm endlich gelingt, ein paar abgebrochene Sätze zu stammeln, geschieht es mit der Überzeugung, daß hinter seinen Worten eine vernichtende Leere steht. «Ich will fähig sein, mich einer Frau freiwillig zu ergeben», stöhnt er. «Ich will, daß sie mich meinem Selbst entreißt. Aber um das fertigzubringen, muß sie besser sein als ich; sie muß ein Gemüt haben, nicht nur eine Möse. Sie muß mich glauben lassen, daß ich sie brauche, daß ich ohne sie nicht leben kann. Such mir doch so eine Pritsche. Wenn du das fertigbrächtest, würde ich dir meine Stellung abtreten. Dann wäre mir nicht bange, was aus mir wird: ich brauchte keine Stelle oder Freunde oder Bücher oder sonstwas. Wenn sie mich nur glauben lassen könnte, daß es etwas Wichtigeres auf der Welt gibt als mich! Mein Gott, wie ich mich hasse! Aber diese elenden Pritschen hasse ich sogar noch mehr – weil keine von ihnen etwas mehr taugt.
    Du glaubst, ich liebe mich», fährt er fort. «Das zeigt, wie wenig du mich kennst. Ich weiß, daß ich ein toller Kerl bin … ich hätte all diese Probleme nicht, wenn an mir nicht etwas dran wäre. Aber es nagt an mir, daß ich mich nicht ausdrücken kann. Die Leute glauben, ich sei ein Pritschenjäger. Das zeigt, wie seicht sie sind, diese Intellektuellen, die den ganzen Tag auf der terrasse sitzen und psychologischen Brei wiederkäuen. Gar nicht so schlecht, was, psychologischer Brei? Schreib es für mich auf. Ich bringe es nächste Woche in meiner Zeitungsspalte … Nebenbei bemerkt, hast du je Stekel gelesen? Taugt er was? Mir kommen seine Geschichten nur wie Krankenberichte vor. Ich wünschte zu Gott, ich brächten den Mut auf, zu einem Analytiker zu gehen … einem guten, meine ich. Ich will nicht zu diesen kleinen Quacksalbern mit Spitzbart und Gehrock wie dein Freund Boris. Wie bringst du es fertig, diese Burschen zu ertragen? Langweilen sie dich nicht zu Tode? Du unterhältst dich mit jedem, fällt mir auf. Es kümmert dich nicht. Vielleicht hast du recht. Ich wollte, ich wäre nicht so verdammt kritisch. Aber diese dreckigen kleinen Juden, die da im Dôme herumhocken, machen mir eine Gänsehaut. Sie hören sich an wie ein Lehrbuch. Wenn ich jeden Tag mit dir reden könnte, würde ich vielleicht manches los werden. Du

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