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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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worden. Und die Dinge beginnen sogar noch verrückter auszusehen als zuvor – besonders, als er seinen Expander am Bett befestigt und mit seinen Sandow-Übungen beginnt. «Es gefällt mir hier», sagt er und lächelt dem garçon zu. Er zieht seine Jacke und seine Weste aus. Der garçon beobachtet ihn mit verblüfftem Gesicht; er hat in einer Hand einen Koffer und in der anderen die Spülspritze. Ich stehe allein im Vorzimmer und halte den Spiegel mit dem grünen Flor. Kein einziger Gegenstand scheint einen praktischen Wert zu besitzen. Selbst das Vorzimmer scheint unbenutzbar, eine Art Vorraum zu einem Stall. Es ist genau dasselbe Gefühl, das ich habe, wenn ich die Comédie-Française oder das Theater im Palais-Royal betrete; es ist eine Welt des Nippes, der Falltüren, Waffen und Büsten und gewachsten Fußböden, von Kandelabern und Männern in Rüstungen, von Statuen ohne Augen und Liebesbriefen in Glaskästen. Etwas tut sich, aber es hat keinen Sinn. Es ist, wie wenn man die halbleeren Flaschen Calvados deshalb austrinkt, weil im Koffer kein Platz ist.
    Beim Treppenhinaufsteigen hatte er, wie ich kurz vorher gesagt habe, die Tatsache erwähnt, daß Maupassant einmal hier wohnte. Dieser Zufall scheint Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Er möchte gerne glauben, daß Maupassant in eben diesem Zimmer eine jener grausigen Geschichten erfand, auf denen sein Ruhm beruht. «Sie wohnten wie die Schweine, die armen Teufel», sagt er. Wir sitzen an dem runden Tisch in einem Paar bequemer Lehnsessel, die mit Klammern und Gurten zusammengeflickt sind; das Bett steht unmittelbar neben uns, so nahe, daß wir die Füße darauf legen können. Die armoire steht hinter uns in einer Ecke, ebenfalls in bequemer Reichweite. Van Norden hat seine schmutzige Wäsche auf den Tisch ausgeleert. Wir sitzen da, die Füße in seine schmutzigen Socken und Hemden vergraben, und rauchen behaglich. Die Trostlosigkeit des Hotels scheint es ihm angetan zu haben. Er fühlt sich hier wohl. Als ich aufstehe, um das Licht anzuknipsen, schlägt er vor, Karten zu spielen, bis wir zum Essen gehen. Und so sitzen wir denn am Fenster, zwischen der auf dem Fußboden verstreuten schmutzigen Wäsche, unter dem vom Kronleuchter herabbaumelnden Expander, und spielen ein paar Runden Bezique zu zweien. Van Norden hat seine Pfeife weggelegt und einen Priem Kautabak in die Innenseite seiner Unterlippe geschoben. Dann und wann spuckt er aus dem Fenster einen tüchtigen Strahl braunen Saft, der hörbar auf dem Pflaster aufklatscht. Er scheint jetzt zufrieden.
    «In Amerika», sagt er, «ließe man es sich nicht träumen, in einer solchen Höhle zu wohnen. Sogar als ich auf der Walze war, schlief ich in besseren Zimmern als dem da. Aber hier scheint das natürlich, es ist wie die Bücher, die man liest. Wenn ich je zurückgehe, will ich dieses ganze Leben hier vergessen, wie man einen bösen Traum vergißt. Ich werde vielleicht das alte Leben genau da wieder anfangen, wo ich aufgehört habe – wenn ich überhaupt zurückgehe. Manchmal liege ich im Bett und träume von der Vergangenheit, und sie wird mir so lebendig, daß ich mich schütteln muß, um mir bewußt zu machen, wo ich bin. Besonders wenn ich eine Frau neben mir habe; eine Frau kann mich allem besser entrücken als sonstwas. Das ist alles, was ich von ihnen will – mich vergessen. Manchmal verliere ich mich so in meine Träumereien, daß ich mich an den Namen der Pritsche nicht mehr erinnern kann, noch daran, wo ich sie aufgelesen habe. Das ist komisch, was? Es tut gut, einen frischen, warmen Körper neben sich liegen zu haben, wenn man am Morgen erwacht. Es gibt einem ein sauberes Gefühl. Man vergeistigt sich … bis sie mit diesem läppischen Quatsch anfangen, von Liebe et cetera. Warum reden alle Pritschen so viel von Liebe, kannst du mir das sagen? Eine gute Nummer genügt ihnen offenbar nicht … sie wollen auch deine Seele …»
    Nun hatte dieses Wort Seele, das oft in Van Nordens Monologen vorkommt, anfangs eine spaßige Wirkung auf mich. Wann immer ich das Wort Seele von seinen Lippen hörte, wurde ich hysterisch. Irgendwie schien es wie Falschgeld, denn es war gewöhnlich von einer Ladung braunen Tabaksafts begleitet, die ein Gerinnsel an seinem Mundwinkel zurückließ. Da ich mich nie scheute, ihm ins Gesicht zu lachen, kam es regelmäßig dazu, daß Van Norden, wenn dieses Wörtchen fiel, gerade lange genug innehielt, um mich in ein Gemecker ausbrechen zu lassen, um dann, als wäre nichts

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