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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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bestimmt sie das Objekt ihrer Wahl und macht selbst den Vorschlag. Sie sah nicht übel aus, aber man konnte sie auch nicht gutaussehend nennen. Sie hatte einen schönen Körper, das war die Hauptsache – und liebte ihn, wie man so sagt.
    Die beiden waren so dick miteinander befreundet, daß Van Norden sie manchmal, um ihre Neugier zu befriedigen (und auch in der vergeblichen Hoffnung, sie durch diese Heldentat anzufeuern), während einem seiner Damenbesuche in seinem Wandschrank verbarg. Nachdem die Sache vorbei war, kam Bessie aus ihrem Versteck hervor, und sie besprachen die Angelegenheit beiläufig, das heißt mit einer fast völligen Gleichgültigkeit gegenüber allem außer der ‹Technik›. Technik war einer ihrer Lieblingsausdrücke, wenigstens bei den Diskussionen, denen ich den Vorzug hatte beizuwohnen. «Was ist falsch an meiner Technik?» fragte er. Und Bessie antwortete: «Du bist zu grob. Wenn du mich je rumkriegen willst, mußt du zarter werden.»
    Wie gesagt, es herrschte ein so vollständiges Einvernehmen zwischen ihnen, daß ich oft, wenn ich Van Norden um halb zwei Uhr besuchen kam, Bessie auf dem Bett sitzend fand, während die Decken zurückgeschlagen waren und Van Norden sie aufforderte, seinen Penis zu streicheln … «Nur ein paarmal leise drüberstreicheln», sagte er, «damit ich den Mut finde, aufzustehen.» Oder er fordert sie auf, ihn anzublasen, oder wenn ihm das nicht gelang, ergriff er ihn selbst und schüttelte ihn wie eine Tischglocke, worüber beide sich fast totlachen wollten. «Ich kriege dieses Luder nie», sagt er. «Sie hat keine Achtung vor mir. Das habe ich davon, daß ich sie ins Vertrauen gezogen habe.» Und dann konnte er ohne jeden Übergang hinzufügen: «Was hältst du von dieser Blonden, die ich dir gestern zeigte?» Das natürlich an Bessie gerichtet. Und Bessie fiel dann höhnisch über ihn her, versicherte ihm, daß er keinen Geschmack habe. «Oh, komm mir nicht so», sagte er. Und dann, scherzhaft, denn es war ein ständig wiederkehrender Witz zwischen ihnen geworden: «Paß auf, Bessie, wie wär’s schnell mit einer Nummer? Nur eben eine kleine Nummer – nein?» Und wenn sich das in der üblichen Weise abgespielt hatte, fügte er im gleichen Tonfall hinzu: «Nun, wie wär’s mit ihm? Warum läßt du dir von ihm keinen verpassen?»
    Die ganze Geschichte mit Bessie war, daß sie sich nicht einfach als Nummer betrachten konnte oder wollte. Sie sprach von Leidenschaft, als wäre es ein vollkommen neues Wort. Sie war bei allen Sachen leidenschaftlich, sogar in einer so kleinen Sache wie einer Nummer. Sie mußte ihre Seele hineinlegen. «Ich werde auch manchmal leidenschaftlich», konnte Van Norden beteuern.
    «Ach, du » sagt Bessie. «Du bist nur ein abgebrühter Lüstling. Du weißt nicht, was Leidenschaft bedeutet. Wenn du eine Erektion bekommst, glaubst du, du seist leidenschaftlich.»
    «Schön, vielleicht ist das keine Leidenschaft … aber du kannst nicht leidenschaftlich werden ohne eine Erektion, das stimmt doch, oder nicht?»
    All das mit Bessie und den anderen Weibern, die er tagein, tagaus in sein Zimmer schleppt, beschäftigt meine Gedanken, während wir zum Restaurant gehen. Ich habe mich so sehr an diese Monologe gewöhnt, daß ich, ohne meine eigenen Träumereien zu unterbrechen, automatisch, sobald ich seine Stimme verklingen höre, die nötige Bemerkung mache. Es ist ein Duett, und wie bei den meisten Duetts lauscht man nur aufmerksam auf das Einsatzzeichen für die eigene Stimme. Da es sein freier Abend ist und ich ihm Gesellschaft zu leisten versprochen habe, habe ich mich bereits taub gemacht gegen seine ewigen Fragen. Ich weiß, daß ich vollkommen erschöpft sein werde, ehe der Abend zu Ende ist. Wenn ich Glück habe, das heißt, wenn ich ihm unter diesem oder jenem Vorwand ein paar Francs abknöpfen kann, versetze ich ihn in dem Augenblick, wo er auf die Toilette geht. Aber er kennt meine Neigung, zu verschwinden, und statt beleidigt zu sein, baut er dieser Möglichkeit ganz einfach dadurch vor, daß er auf seinen Sous sitzt. Wenn ich ihn um Geld für Zigaretten bitte, besteht er darauf, mitzugehen. Er will nicht eine Sekunde allein bleiben. Selbst wenn es ihm gelungen ist, ein Weibsbild aufzutreiben, ist er noch voller Angst, mit ihr allein gelassen zu werden. Am liebsten würde er mich im Zimmer sitzen lassen, während er seine Vorstellung gibt. Es wäre für ihn dasselbe, als ob er mich bitten würde, zu warten, während er sich

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