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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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einen Sou dafür gegeben, daß ich sie lobend herausstrich. Sie dachte, ich sei ehrlich begeistert von ihrer Arbeit. Ich hätte kein Bild von ihr bekommen, wenn ich ihr nicht versprochen hatte, sie mit der Pritsche aus Minnesota zusammenzubringen. Sie war verrückt auf sie … schlich uns nach wie eine läufige Hündin … wir konnten die Hure nicht loswerden! Sie plagte mich schier zu Tode. Es ging so weit, daß ich mich fast scheute, ein Weibsstück hier heraufzubringen, aus Angst, sie könnte hier hereinplatzen. Ich schlich mich immer herauf wie ein Dieb, und sobald ich drin war, sperrte ich die Tür hinter mir zu … Sie und diese Georgia-Pritsche machen mich verrückt. Die eine ist immer heiß, und die andere immer hungrig. Ich hasse es, eine Frau zu ficken, die hungrig ist. Es ist, als stopfe man Essen in sie hinein und ziehe es wieder heraus. Ach, dabei fällt mir was ein … wo habe ich die blaue Salbe hingestellt? Das ist wichtig. Hast du jemals diese Dinger gehabt? Es ist schlimmer, als etwas einnehmen zu müssen. Und ich weiß auch nicht einmal, wo ich sie her habe. Ich habe in der letzten Woche so viele Frauen hier oben gehabt, daß ich mich nicht mehr auskenne. Komisch, denn sie rochen alle so sauber. Aber du weißt, wie das ist …»
    Das Mädchen hat seine Sachen auf dem Gehsteig zusammengestellt. Der patron sieht mit saurer Miene zu. Als alles ins Taxi verladen ist, bleibt drin im Wagen nur noch für einen von uns Platz. Sobald wir in Fahrt sind, zieht Van Norden eine Zeitung hervor und beginnt seine Töpfe und Pfannen einzuwickeln. In seinem neuen Zimmer ist Kochen streng verboten. Bis wir unser Ziel erreichen, ist sein ganzes Gepäck aus dem Leim gegangen. Das wäre nicht so peinlich, wenn nicht gerade, als wir vorfuhren, die Madame den Kopf aus der Tür gereckt hätte. «Mein Gott!» ruft sie aus. «Was um Himmels willen ist das alles? Was soll das bedeuten?» Van Norden ist so eingeschüchtert, daß ihm nichts Besseres einfällt, als zu sagen: « C’est moi … c’est moi, madame! » Und sich zu mir wendend murmelt er wild: «Diese Glucke! Hast du ihr Gesicht gesehen? Sie wird es mir schwer machen.»
    Das Hotel liegt hinter einem schmutzigen Durchgang und bildet ein Rechteck, ganz ähnlich einem modernen Gefängnis. Das Büro ist geräumig und trotz des von den gekachelten Wänden strahlend reflektierten Lichtes düster. In den Fenstern hängen Vogelkäfige, und überall sind Emailleschildchen angebracht, auf denen die Gäste in einer veralteten Sprache gebeten werden, dies oder jenes nicht zu tun oder nicht zu vergessen. Es ist fast untadelig sauber, aber ganz von Armut gezeichnet, fadenscheinig, trübselig. Die gepolsterten Stühle sind mit Draht zusammengehalten; sie gemahnen einen unangenehm an den elektrischen Stuhl. Das für ihn bestimmte Zimmer liegt im fünften Stock. Während wir die Treppen hinaufsteigen, teilt mir Van Norden mit, daß Maupassant einmal hier gewohnt habe. Und im gleichen Atemzug stellt er fest, daß ein merkwürdiger Geruch in der Diele herrscht. Im fünften Stock fehlen ein paar Fensterscheiben. Wir stehen einen Augenblick da und starren die Mieter auf der anderen Seite des Hofes an. Es ist bald Abendessenszeit, und die Leute eilen auf ihre Zimmer mit dem müden, niedergeschlagenen Gesicht, das man bekommt, wenn man seinen Lebensunterhalt ehrlich verdienen muß. Die meisten Fenster stehen weit offen: die schäbigen Zimmer sehen aus wie gähnende Münder. Auch die Zimmerbewohner gähnen oder kratzen sich. Sie bewegen sich teilnahmslos und offenbar ohne Ziel hin und her; sie könnten ebensogut Verrückte sein.
    Als wir in den Gang zu Zimmer 57 einbiegen, öffnet sich plötzlich vor uns eine Tür, und eine alte Hexe mit verfilztem Haar und den Augen einer Wahnsinnigen lugt heraus. Sie erschreckt uns so, daß wir erstarrt stehenbleiben. Eine geschlagene Minute stehen wir drei da, unfähig, eine Bewegung oder auch nur eine vernünftige Gebärde zu machen. Hinter der alten Hexe kann ich einen Küchentisch sehen, und auf ihm liegt ein völlig unbekleidetes Baby, ein winzigkleines Balg, nicht größer als ein gerupftes Hühnchen. Endlich ergreift die Alte einen neben ihr stehenden Spüleimer und macht einen Schritt auf uns zu. Wir treten beiseite, um sie vorbeizulassen, und als die Tür sich hinter ihr schließt, stößt das Baby einen durchdringenden Schrei aus. Es ist Zimmer Nummer 56, und zwischen 56 und 57 liegt die Toilette, in der die alte Hexe ihr Spülwasser

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