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Wendekreis des Krebses

Wendekreis des Krebses

Titel: Wendekreis des Krebses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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bist ein guter Zuhörer. Ich weiß, daß du dir keinen Pfifferling aus mir machst, aber du hast Geduld. Und keine Theorien, auf denen du herumreitest. Ich vermute, du trägst nachher alles in dein Notizbuch ein. Hör zu, es ist mir gleich, was du über mich sagst, aber stelle mich nicht als Pritschenjäger hin – das ist zu einfach. Eines Tages werde ich ein Buch über mich schreiben, über meine Gedanken. Ich meine nicht einfach nur eine introspektive Analyse … ich meine, daß ich mich auf den Operationstisch legen und meine ganzen Eingeweide, jedes verfluchte Ding, zur Schau stellen will. Hat das je einer getan? Warum, zum Teufel, grinst du so? Klingt das naiv?»
    Ich lächle, weil jedesmal, wenn wir das Thema dieses Buches berühren, das er eines Tages schreiben will, die Dinge einen schiefen Aspekt annehmen. Er braucht nur zu sagen ‹mein Buch›, und sofort schrumpft die Welt zu den privaten Ausmaßen von Van Norden & Co. zusammen. Das Buch muß völlig einmalig, ganz vollkommen sein. Das ist, unter anderem, der Grund, warum es ihm unmöglich ist, damit anzufangen. Sobald er einen Einfall hat, beginnt er ihn in Frage zu stellen. Er entsinnt sich, daß Dostojewski oder Hamsun oder jemand anderes ihn verwendet hat. «Ich will nicht sagen, daß ich besser sein will als sie, aber ich will anders sein», erklärt er. Und so, statt sein Buch in Angriff zu nehmen, liest er einen Schriftsteller nach dem anderen, um ganz sicher zu gehen, keine geistige Anleihe bei ihnen zu machen. Und je mehr er liest, desto geringschätziger schaut er auf sie herab. Keiner von ihnen ist befriedigend; keiner von ihnen erreicht den Grad der Vollendung, den er von sich selbst fordert. Und indem er völlig vergißt, daß er noch nicht einmal ein einziges Kapitel geschrieben hat, spricht er von ihnen herablassend, ganz so, als gäbe es eine Reihe von Büchern unter seinem Namen, Bücher, die jedermann kennt und deren Titel daher gar nicht erst erwähnt zu werden brauchen.
    Obwohl er in dieser Sache nie offen gelogen hat, ist es doch offensichtlich, daß die Menschen, die er festhält, um ihnen seine Privatphilosophie, seine Kritik, seine Klagen vorzubringen, als selbstverständlich annehmen, daß hinter seinen hingeworfenen Bemerkungen ein greifbares Werk steht. Besonders die jungen und törichten Jungfrauen, die er unter dem Vorwand in sein Zimmer lockt, ihnen seine Gedichte vorzulesen, oder dem noch besseren, sie um ihren Rat zu bitten. Ohne das geringste Schuldgefühl oder die leiseste Scham überreicht er ihnen ein Stück schmutziges Papier, auf das er ein paar Zeilen – den Entwurf zu einem neuen Gedicht, wie er es ausdrückt –, gekritzelt hat, und verlangt von ihnen allen Ernstes eine ehrliche Meinung. Da sie gewöhnlich nichts dazu zu sagen wissen, weil sie durch die gänzliche Sinnlosigkeit der Zeilen völlig verwirrt sind, ergreift Van Norden die Gelegenheit, ihnen seine Kunstanschauung auseinanderzusetzen, eine Anschauung, die, wie man nicht erst zu sagen braucht, spontan dem Anlaß entsprechend zurechtgemacht ist. So geschickt ist er in seiner Rolle geworden, daß der Übergang von Ezra Pounds Cantos zum Bett ebenso einfach und natürlich bewerkstelligt wird wie der Übergang von einer Tonart in die andere. In der Tat, gelänge es nicht, so entstünde ein Mißklang, wie er ihm dann und wann unterläuft, wenn er sich in diesen Schwachköpfen irrt, die er als ‹Matratzen› bezeichnet. So wie er beschaffen ist, redet er nur ungern von diesen fatalen Fehlurteilen. Wenn er es aber über sich bringt, einen solchen Irrtum einzugestehen, so geschieht es mit völliger Offenheit. Tatsächlich scheint er ein perverses Vergnügen daran zu finden, sich des langen und breiten über seine Ungeschicklichkeit auszulassen. So gibt es zum Beispiel eine Frau, die er seit nunmehr fast zehn Jahren zu erobern versucht hat – zuerst in Amerika und schließlich hier in Paris. Sie ist die einzige Vertreterin des anderen Geschlechts, zu der er in herzlicher, freundschaftlicher Beziehung steht. Sie scheinen einander nicht nur gern zu haben, sondern sich wirklich gut zu verstehen. Zuerst schien es mir, wenn er dieses Wesen wirklich erobern könnte, wären vielleicht seine Probleme gelöst. Alle Elemente für eine erfolgreiche Bindung waren vorhanden – außer dem grundlegenden. Bessie war in ihrer Art fast ebenso ungewöhnlich wie er. Sich einem Mann hinzugeben, bedeutet ihr nicht mehr als die auf eine Mahlzeit folgende Nachspeise. Gewöhnlich

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