Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
hatten sie Hatheyer den letzten Anstoß gegeben. Sie fuhr mit dem Aufzug nach oben, stürmte durch den Flur und klopfte energisch an Antweilers Tür, öffnete sie, ehe irgendjemand »Herein« gesagt hatte.
Antweiler blickte hinter dem Schreibtisch auf, Tönsdorf saß davor. »Wie ich sehe, genießen Sie Ihren Urlaub«, sagte Antweiler und nahm seine Brille ab.
»Ach, lassen Sie das doch!«, rief Susanne. »Martin Hatheyer hat Oster nicht ermordet! Er sollte nur als Sündenbock herhalten, um den wahren Täter zu schützen, da bin ich mir sicher! Wirklich praktisch, dass er sich jetzt umgebracht hat.« Sie schaute Antweiler herausfordernd an. »Was ist denn vorher mit dem Domkapitel und dem Generalvikar ausgekungelt worden, wenn ich fragen darf?«
Aus den Augenwinkeln registrierte sie, wie Tönsdorf schmerzhaft das Gesicht verzog. Aber sie war einfach zu wütend, um auf ihn Rücksicht zu nehmen.
Antweiler setzte die Brille wieder auf. »Wenn Sie genug Dampf abgelassen haben, können Sie sich vielleicht zu uns setzen und uns beim Nachdenken helfen. Dieses Gespräch heute Morgen beim Domkapitel war ... ziemlich sonderbar . Und Ihr Kollege hat mir eben noch etwas anderes berichtet.« Er nickte Tönsdorf zu, der nervös mit der rechten Hand auf dem Oberschenkel herumtrommelte. Er litt sichtbar darunter, im Büro seines Chefs nicht rauchen zu dürfen.
»Der Pathologe hatte wohl Langeweile, daher hat er sich geradezu auf Hatheyer gestürzt und ihn sofort auseinander genommen. Der schriftliche Bericht ist noch nicht da, aber er hat mir gesagt, er hätte Blessuren im Gesicht gefunden - wie bei Schwester Hildegardis«, sagte Tönsdorf. »Jemand hat ihn ins Gesicht geschlagen. Allerdings ein paar Stunden vor dem Selbstmord, meint der Pathologe. Ein direkter Zusammenhang mit seinem Tod besteht also wohl nicht. Trotzdem ist das natürlich eine gewisse Parallele zum Tod der Oberin. Was hältst du davon?«
Susannes Körper war vor Wut angespannt gewesen, geradezu sprungbereit.
Jetzt spürte sie, wie der Druck entwich. Erschöpft ließ sie sich auf den Stuhl neben Tönsdorf fallen. »Das ... war ich«, sagte sie leise. Tönsdorf schaute sie betroffen an.
»Scheiße, Wendland«, murmelte Antweiler. »Musste das sein?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich hab plötzlich rot gesehen. Vielleicht, weil ich die verdammten frommen Sprüche nicht mehr ertragen konnte. Ich wollte einfach, dass er endlich den Mund aufmacht.«
»Na, Anzeige wegen Körperverletzung wird er nun ja kaum noch erstatten«, stellte Antweiler kühl fest. »Hat sich Ihre kleine Rambo-Aktion denn wenigstens gelohnt?«
»Er war's nicht«, sagte Susanne. »Jemand hat ihn angerufen und unter einem Vorwand in die Krypta gelockt. Da hat er dann den toten Oster gefunden und ihn mit Scharenbroich nach draußen auf die Domplatte geschleppt. Ich glaube ihm seine Geschichte. Nachdem ich ... ausgerastet bin und ihn verprügelt habe, war er in einer Verfassung, in der Menschen die Wahrheit sagen.«
»Und wieso hat er sich umgebracht?«, fragte Antweiler. Dass er so rasch über die Sache hinwegging, machte es noch schlimmer. Ihr wäre lieber gewesen, er hätte getobt und ihr mit Innendienst gedroht.
»Sehnsucht nach seiner großen Liebe vermutlich. Herkenrath betrachtet es natürlich als Schuldeingeständnis«, brummte Tönsdorf.
»Habt ihr denn irgendwas in seiner Wohnung gefunden?«
»Kein Abschiedsbrief. Auch sonst nichts Auffälliges. Er hat sich die Adern in der Leistenbeuge aufgeschnitten.« Tönsdorf verzog das Gesicht. »Ziemlich zuverlässige Methode, für immer von der Theke abzutreten.«
»Und es steht wirklich fest, dass es kein Mord war?«
Tönsdorf wiegte bedächtig den Kopf. »Spricht eigentlich alles dagegen. Außer dem, was du mit seinem Gesicht angestellt hast, gibt es keine Spuren von Gewaltanwendung. Um Hatheyer den Schnitt an der Leiste beibringen zu können, hätte der Mörder ihn vorher entweder fesseln oder betäuben müssen. Oder sie waren zu zweit, und einer hat ihn fest gehalten. Aber dann müsste es an der Leiche irgendwelche Hämatome oder Kratzer geben. Hatheyer müsste doch gezappelt und sich gewehrt haben, wenn er nicht bewusstlos war. Und Betäubungs- oder Schlafmittel hatte er nicht im Körper.«
Susanne atmete tief durch. »Ihr habt in der Wohnung nicht vielleicht irgendein altes Buch gefunden?« Tönsdorf stöhnte. »In seinem Wohnzimmer wimmelt es von alten Büchern!«
»Er hat von einem Geheimen Zunftbuch geredet. Das wollte er mir
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