Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
es abhängen lassen, weil es ihn beim Beten stört, wie er sagt. Doch das Domkapitel hat ihm die Stirn geboten. Das Bild blieb hängen und seither meidet unser Erzbischof diesen Gebetsraum.«
Er lächelte sichtlich zufrieden. »Ein klarer Punktsieg für die Kölner Domherren.«
In Chris' Kopf formten sich neue Fragen, aber sie hatte Mühe sich zu konzentrieren. Ermekeil musterte sie eigenartig. »Sie sind medial begabt, nicht wahr?«, sagte er unvermittelt.
»Wie... kommen Sie darauf?«, erkundigte sie sich vorsichtig. Hatte er am Ende doch die Sendung gesehen und sie wieder erkannt? Obwohl sie in dem Interview ihr zweites Gesicht eigentlich kaum erwähnt hatte. Es war fast nur von schamanischen Ritualen und Ökologie die Rede gewesen.
»Medial begabte Menschen erleben hier unten in diesem Raum so starke körperliche Reaktionen, wie ich sie gerade an Ihnen beobachte. Schweißausbrüche, zitternde Knie. Die Erdenergien sind hier stark und Frauen sind der Erde näher als Männer. Es erstaunt mich, dass die Polizei inzwischen Medien wie Sie einsetzt.«
»Meine ... Vorgesetzten wissen nichts davon.« Chris wusste, dass sie eine verdammt schlechte Lügnerin war, und bereute es längst, nicht oben am Café geblieben zu sein und Eis gegessen zu haben. »Übrigens gibt es auch medial begabte Männer.«
Ermekeil schüttelte den Kopf. »Männliche Medialität ist anders. Männer verkörpern den Heiligen Geist, Frauen das irdische Fleisch. Deshalb geraten Frauen leicht in den Bann der Erdenergien.«
Das klang ihr ziemlich sexistisch, trotz seiner sanften Stimme. Die Stimme war sehr angenehm. Vermutlich hörten ihm die Leute gerne beim Predigen zu. Worauf wollte er hinaus? Glaubte er, dass Männer etwas Besseres waren? Nach den Lehren der katholischen Kirche konnte man allerdings durchaus zu diesem Schluss gelangen. Aber Chris hatte keine Lust mit ihm zu diskutieren. Sie wollte nur noch aus diesem
Keller heraus in die Sonne - und weg von der unheimlichen, sogartigen Vibration unter ihren Füßen, von der Ermekeil keinerlei Notiz zu nehmen schien.
»Die Hexenverfolgung im Mittelalter ist häufig missverstanden worden«, sagte Ermekeil und musterte Chris dabei durchdringend. Ob er Frauen hasst?, fragte sie sich.
»Eigentlich ging es der Heiligen Inquisition darum, die Frauen davor zu bewahren, in den sündigen Bann der Erdenergien zu geraten.« Was für ein sonderbares Gerede.
Er lächelte wieder und stand auf. »Kommen Sie«, sagte er. »Frauen, die das zweite Gesicht haben, sollten sich nicht zu lange hier drinnen aufhalten.«
Sie gingen nach draußen in die Bischofskrypta, wo Chris sich sofort etwas besser fühlte. Ermekeil zeigte auf eine Stelle neben dem Altar. »Hier hat Osters Leiche gelegen«, sagte er beiläufig, »bevor Martin Hatheyer und Scharenbroich sie hinaus auf die Domplatte geschleppt haben. Scharenbroich hat mir die Stelle gezeigt.«
Ohne dass sie genau hätte sagen können, warum, wurde Chris die Gegenwart dies es sanft lächelnden Mannes immer unangenehmer. Die Leute beichten sicher gern bei ihm, dachte sie. Er wirkt so freundlich und verständnisvoll. Trotzdem mochte sie seine Blicke nicht, fand sie irgendwie starr und bohrend. Ihr fiel keine Frage ein, mit der sie Ermekeil weitere Informationen hätte entlocken können. Als Kriminalistin bin ich wohl nicht so begabt wie Susanne, dachte sie.
»Hier muss alles voll Blut gewesen sein. Sündiges Blut hat einen unangenehm süßlichen Geschmack.
Ich ziehe den Geschmack des Blutes Christi vor - des Messweines.«
Dieses Lächeln. »Entschuldigen Sie, ich will Sie nicht länger stören«, sagte Chris hastig und steuerte auf die Treppe zu. Ermekeil folgte dicht hinter ihr. Als sie die Gittertür erreichten, atmete Chris erleichtert auf. Es war sehr beruhigend, wieder die Stimmen der Dombesucher zu hören.
Ermekeil ließ sie hinaus und schob die Gittertür zu. Er blieb hinter dem Gitter stehen und zog einen Schlüsselbund aus der Tasche. »Diesmal sperre ich vorsichtshalber ab.« Lächelnd verriegelte er die Tür.
»Was tun Sie jetzt dort unten?«, fragte Chris.
»Beten«, sagte er, und sie sah, wie er sich umdrehte und wieder in die Krypta hinabstieg.
Gott hatte sie ihm geschickt. Anders konnte ersieh ihr unerwartetes Auftauchen nicht erklären. Es hatte ihn große Mühe gekostet seine Fassung zu bewahren, doch niemals würde er vor einer Frau Schwäche zeigen. Gott hatte tatsächlich die Hexe aus dem Fernsehen zu ihm geschickt! Hier konnte nur die
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