Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
und bemerkte zugleich, wie der goldene Glanz der auf den Boden gemalten Sonne immer mehr verblasste und dahinschwand, als sei der Farbe plötzlich ihr wahres Alter bewusst geworden. Auch das Glimmen der Erdnadeln wurde immer schwächer.
In dem fahlen bläulichen Lichtschein erkannte Chris, dass dort eine in mehrere Stücke zerbrochene Statue lag - die Statue eines Engels mit einem großen, zerborstenen Schwert. Das strenge, steinerne Gesicht trug die Züge Ermekeils. Da wusste Chris, dass die Naturgeister grausame Rache genommen hatten.
Schaudernd wandte sie sich ab. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Teile des Gewölbes herabgestürzt waren. Während sie über die Trümmer zu der glücklicherweise unversehrten Treppe kletterte, hörte sie hinter sich ein lautes Krachen. Als sie sich umdrehte sah sie, wie ein großes Stück des Deckengewölbes herabstürzte und den zerbrochenen Engel und Teile des Sonnensymbols unter sich begrub. Chris fürchtete, das ganze Gewölbe werde einstürzen und rannte auf die Treppe zu.
Feuchter Staub wirbelte hoch, nahm ihr die Sicht und reizte sie zum Husten. Obendrein erlosch das Licht der Erdnadeln nun völlig, sie war en nur noch schwarzes, totes Eisen. Mit klopfendem Herzen taumelte Chris durch die plötzliche Dunkelheit, erschrak, als sie am Fuß der Treppe über Scharenbroichs Leiche stolperte.
Bärin, bitte hilf mir, dachte sie. Sofort schärfte sich ihr Blick. Sie hob den Kopf und sah, dass oben von der Treppe ein schwaches Licht herabdrang, in dem sie die Stufen schemenhaft erkennen konnte. Ein paar Augenblicke später stand sie keuchend hinter der Geheimtür. Die Tür war halb aus den Angeln gehoben, das hässliche Altarbild umgestürzt und zerrissen. In der Bischofskrypta blieb Chris erschrocken stehen. Auch hier waren Teile der Decke eingestürzt und hatten die Treppe nach oben in den Dom verschüttet. Sie war gefangen. Dann wurde ihr klar, dass das schwache Licht hier unten Tageslicht sein musste. Sie spähte nach oben und entdeckte in der Ecke des Trümmerberges eine kleine Öffnung. Keuchend kletterte Chris über die rutschenden, nachgebenden Steine. Der Spalt war so eng, dass sie sich gerade eben hindurchzwängen konnte. Als sie ihren Körper endlich mühsam aus der schmalen Öffnung hinaus in die lichte Weite des Domes gestemmt hatte, atmete sie befreit auf. Rasch lief sie ein Stück von dem eingestürzten Fußbodenteil weg, bis der Untergrund ihr wieder einigermaßen sicher schien.
Der Dom war nicht eingestürzt. Seine mächtigen Fundamente hatten standgehalten. Aber die Kathedrale hatte doch schwere Schäden davongetragen. Teile des Daches waren eingestürzt und Chris konnte den Himmel darüber sehen - strahlend blauen Himmel. Die bedrohlichen schwarzen Wolken waren verschwunden, Sonnenstrahlen fielen schräg durch das beschädigte Dach und ließen die Staubschwaden aufleuchten, die wie ein feiner Nebel zwischen den gotischen Säulen schwebten.
»Chris! Chris!« Da stand Heike Vandenberg, auf der anderen Seite der Vierung. Sie rannte zu Chris und fiel ihr um den Hals. »Wir dachten, du bist verschüttet, und jetzt kommst du einfach hier aus dem Boden gekrochen!«
Chris zuckte verlegen die Achseln. »Na ja , Bärinnen sind eben Höhlentiere.«
»Ermekeil hat dir also nichts angetan ... «
»Mich kleinzukriegen ist gar nicht so einfach. Eine Schamanin hat mindestens so viele Leben wie eine Katze.«
Chris sah, dass dort, wo Heike gestanden hatte, viele Steine herabgestürzt waren. Und sie sah eine Gestalt auf dem Boden liegen. Die Vision fiel ihr ein - ein Mensch, der von herabfallenden Steinen erschlagen wurde. »Scheiße! Roland! Ist er...?«
Doch dann hob die Gestalt den Kopf. Es war Roland, und er lächelte. »Keine Angst, Chris«, sagte er, »ich lebe noch, auch wenn diese Steine mein rechtes Bein ganz schön zugerichtet haben. Aber ich denke, ein guter Arzt wird es schon wieder hinkriegen.«
Chris sah, dass er den silbernen Rutenstab der Vandenbergs in den Händen hielt. »Ich glaube, der Stab hat uns beschützt. Rings um uns prasselten Steine herunter, aber Heike und dem Polizisten ist nichts passiert.« Er zeigte auf sein Bein. »Und das hier soll vielleicht eine Mahnung sein, dass ich mich endlich dem Erbe meiner Familie stelle.«
»Tönsdorf, der Polizist, ist nach draußen gerannt, um einen Bergungstrupp zusammenzustellen«, erzählte Heike aufgeregt. »Wir dachten, du wärst dort unten verschüttet und wir müssten dich herausholen.« Heikes Augen
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