Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
untergeordneter Bedeutung.«
Nun endlich wurde Chris bewusst, was die Vorfahren der Vandenbergs und der anderen alten Familien der Erde angetan hatten. Seit Jahrhunderten steckten diese monströsen Nadeln in der Haut der Erde, reizten sie und bereiteten ihr Schmerzen, um sie dazu zu zwingen, mehr Energie abzugeben, als normalerweise durch das Netz von Leylinien geflossen wäre. Und mit ihren schamanischen Sinnen erhielt Chris plötzlich einen klaren Eindruck von der Wut und dem Schmerz, die sich während dieser Jahrhunderte unter der Stadt Köln und dem Umland angestaut haben mussten. Chris konnte diese enorme Anspannung in den Erdschichten unter dem Dom in ihrem ganzen Körper spüren. Wie hatten die Menschen hier jahrhundertelang so dumm und blind sein können? Vielleicht hatten sie die große Katastrophe verdient, die jetzt über sie hereinbrechen würde.
Dann musste Chris an Heike und Roland denken, und an Susanne, die alle irgendwo dort oben waren und sterben würden, wenn die Stadt in einem gewaltigen Erdbeben unterging. Vielleicht kann ich es verhindern, dachte Chris. Mit aller Kraft zerrte sie an ihren Fesseln. Ermekeil hob den weißen Stoff vom Boden auf, und Chris er kannte, dass es sich um ein Messgewand handelte. Er zog es über und ging in die Mitte des Sonnensymbols. Erst jetzt sah Chris, dass dort ein großes Schwert lag. Er hob es auf, wandte sein Gesicht jenem Erdanker zu, der sich genau gegenüber der Stelle befand, wo er Chris gefesselt hatte. Er stellte sich breitbeinig hin, stützte die Schwertspitze auf den Boden und legte beide Hände um den Griff. »Ich wende mein Gesicht nach Westen!«, rief er. »Möge der verabscheuungswürdige Satanspol zerstört werden und alle Energie sich hier an diesem Punkt konzentrieren.« Die Worte schienen nicht Chris zu gelten, sondern ein Gebet oder eine Beschwörung zu sein. »Möge alles Niedere und Dunkle vergehen und nichts übrig bleiben als die reine Liebe Christi und das gleißende Licht
Gottes. Ich werde der Engel des Lichts sein, ich werde das Schwert sein, dass die Finsternis für immer vertreibt!«
Dann schwieg er und stand reglos wie eine Statue, während das blaue Leuchten der Erdanker immer gleißender wurde und das von ihnen ausgehende Knistern und Summen zu einem Rauschen anschwoll, das Chris betäubend laut in den Ohren dröhnte.
Heike fürchtete, die Villa würde über ihr zusammenstürzen. Fast wünschte sie, Ermekeil hätte sie erschossen, statt sie dieser Angst auszusetzen. Das Haus schien in allen Fugen zu stöhnen und zu ächzen. Ständig rieselte Putz von der Decke, legte sich ihr als feuchter Staub auf die Lungen und nahm ihr den Atem. Sie musste immer wieder husten. Und sie hatte das Gefühl, dass das blaue Leuchten ihr die Fußsohlen verbrannte, wenn sie zu lange an einer Stelle stand.
Sehnsüchtig schaute sie zu dem kleinen Schimmer Tageslicht hoch, der durch eine alte Vorratsluke fiel, durch die früher Kartoffeln und andere im Keller zu lagernde Dinge herabgelassen worden waren. Vermutlich ließ sich die Luke von innen ohnehin nicht öffnen. War dort nicht außen sogar ein Vorhängeschloss angebracht? Sie wusste es nicht genau. Wenn sie eines der Weinregale leer räumte und unter die Luke schob ...
Wie in Trance zog sie die Flaschen aus dem Regal und stellte sie hinunter in das blaue Licht. Vermutlich war der Wein danach ungenießbar. Mühsam zog sie das Regal unter die Luke. Es schwankte gefährlich hin und her, als sie an ihm hochstieg wie an einer Leiter. Dann hockte sie auf dem obersten Brett und richtete sich unsicher auf. Es war sinnlos. Ihre Arme reichten nicht einmal bis zum Ende des Schachts, über dem sich die Luke befand.
In diesem Moment ließ eine neue Stoßwelle den Boden erzittern. Heike verlor das Gleichgewicht. Ihre Füße rutschten von dem Regalbrett ab. Sie klammerte sich mit den Händen fest, riss sie sich an dem splintigen Holz blutig und kippte dann mit dem ganzen Regal um. Ihr Kopf stieß gehen etwas Hartes und sie wurde ohnmächtig.
Als sie aufwachte, hörte sie, dass jemand ihren Namen rief. Roland! Entsetzt merkte sie, dass sie mit dem ganzen Körper in dem blauen Licht gelegen hatte. Ihre Haut brannte und juckte. Benommen rappelte sie sich auf, mit einem pochenden Schmerz in der Stirn. Erst gehorchten ihre Stimmbänder ihr nicht, doch dann rief sie immer lauter Rolands Namen. Ein paar Augenblicke später stand er im Keller und schloss sie in die Arme.
»Onkel Harald und Ahriman sind ...«,
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