Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
vielleicht. Möglich, dass er den Täter gekannt hat. Im Moment wird seine Kleidung nach Spuren untersucht. Sie haben aber noch nichts Brauchbares gefunden.«
»Es wäre gut, wenn wir bald ein bisschen Futter für die Staatsanwaltschaft bekämen.« Antweiler rückte seine Brille zurecht. »Aber ich wollte Sie noch aus einem anderen Grund sprechen. Sie haben doch kein nennenswertes Privatleben, nicht wahr, Wendland?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Susanne zähneknirschend. »Wann denn auch?« Solche Bemerkungen des Chefs bedeuteten meistens Überstunden. Noch mehr Überstunden.
»Von dem Hauseinsturz in der Machabäerstraße haben Sie gehört, nehme ich an? Schlimme Sache. Bis jetzt sieben Tote. Nun, Oberstaatsanwalt Herkenrath ist ein guter Freund der Familie Vandenberg. Hat mit Vandenberg senior, der vor drei Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist, die Schulbank gedrückt. Sie wissen vermutlich auch, dass in der Stadt darüber spekuliert wird, Vandenberg junior könnte bei dem Einsturz die Finger im Spiel gehabt haben ... «
»Kann ich mir nicht vorstellen«, unterbrach Susanne ihn kopfschüttelnd, »da müsste Vandenberg junior ja ein kompletter Idiot sein. Er hätte doch jederzeit polizeilich räumen lassen können.«
»Herkenrath hält es ebenfalls für ausgeschlossen. Er hat mich aber gebeten einmal vorsichtig nachzufühlen. Keine offiziellen Ermittlungen. Kein schriftlicher Bericht. Nur ein bisschen nachforschen und die Ergebnisse mündlich an ihn weitergeben. Natürlich will er, dass die öffentlich gegen Vandenberg erhobenen Vorwürfe möglichst schnell entkräftet werden und der gute Ruf der Familie keinen Schaden nimmt. Er hat ausdrücklich darum gebeten, dass Sie das übernehmen. Er weiß eben, dass Sie hier den höchsten Intelligenzquotienten haben.« Trocken fügte er hinzu: »Nach mir, natürlich.«
Susanne grinste. »Haarscharf am Dienstweg vorbei. Kein Bericht, keine Akte.«
»Genau. Machen Sie's allein. Lassen Sie Tönsdorf im Büro.«
»Gottverdammter Kölscher Klüngel«, knurrte sie.
Antweiler seufzte. »Meine liebe Wendland, Sie haben als waschechte Kölnerin immerhin den Vorteil, dass Sie in diesem trüben rheinischen Milieu aufgewachsen sind. Ich als zugereister Norddeutscher musste mir die einschlägigen Kenntnisse erst mühsam erarbeiten.«
»Na gut«, sagte Susanne. »Einverstanden. Aber nur, wenn Sie mich dieses Jahr wieder zum Essen einladen.«
Antweiler machte ein zufriedenes Gesicht. »Sie dürfen sogar das Dessert auswählen«, versprach er großzügig.
Nach dem Mittagsgebet, noch bevor der Chor des Domes wieder für Besucher geöffnet wurde, ging Weihbischof Scharenbroich allein in den Binnenchor und betrachtete schweigend den golden schimmernden Schrein der Heiligen Drei Könige, kostbarster Reliquienbehälter des Abendlandes, Verkörperung von Macht und Glanz des Kölner Erzbistums. Sehr weltlich und unheilig waren die Interessen gewesen, die das Handeln der Domherren im Mittelalter bestimmt hatten, damals als der gewaltige Chorbau des Domes in den Himmel wuchs. Stets war es ihnen um politische und wirtschaftliche Macht gegangen. Das Sakrale blieb den Mystikern vorbehalten oder diente bei der Sonntagspredigt zur Erbauung des gemeinen Volkes.
Scharenbroich legte den Kopf in den Nacken und blickte zu den von schlanken Säulen getragenen Buntglasfenstern im Obergaden empor, die an diesem grauen Märztag nur matt leuchteten. Die lichten Weiten des Himmels sind für mich wohl unerreichbar, aber auf das Profane verstehe ich mich gut, dachte Scharenbroich, der sich, halb im Scherz, gerne als »Bürokrat Gottes« bezeichnete. Zahlenkolonnen und Organisationspläne waren seine Welt, hier fühlte er sich sicher. Die mystische Verzückung, wie sie manchmal in Martin Hatheyers Augen aufleuchtete, würde ihm immer fremd bleiben, das wusste er . Und nie hatte er Josef Oster auf dessen geistigen Höhenflügen in die abstrakte Welt von Theologie und Philosophie folgen können.
Er wusste, dass Gebete nicht halfen, dass Gott sich nicht um schöne Worte kümmerte. Natürlich hatte Scharenbroich im Laufe seiner kirchlichen Karriere diesbezüglich recht überzeugend zu heucheln gelernt, aber stolz war er auf diese schauspielerische Begabung nicht. Er wusste, dass Menschen wie ihm nur der Verstand blieb. Mit Hilfe des Verstandes konnte man Probleme lösen, ohne auf das im Allgemeinen höchst unzuverlässige Eingreifen höherer Mächte bauen zu müssen. In dieser Hinsicht fühlte sich
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