Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
dir lediglich seine ... körperlichen Bedürfnisse befriedigen.«
Martin lachte bitter. »Wie sollte ein phantasieloser Verwaltungsmensch wie Sie begreifen können, welche Gefühle Josef und ich teilten, zu welchen Höhen wir uns gemeinsam aufgeschwungen haben ... «
»Es war sündig. Unmoralisch!« Ruhig, dachte Scharenbroich, du musst ruhig bleiben. Du brauchst Martin, du bist auf ihn angewiesen. Im Moment jedenfalls.
»Wir haben uns geliebt! Und was ist denn wohl die wichtigste Botschaft Jesu?« Martins Stimme zitterte vor Wut.
Scharenbroich legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. »Wir wollen nicht streiten. Lass uns vernünftig miteinander reden. Gemeinsam überlegen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei herausfindet, dass wir beide Josefs Leiche nach draußen getragen haben« - er schüttelte den Kopf - »mein Gott, wir waren doch so durcheinander! Ich habe nur gedacht: Nicht hier im Dom, die Leiche darf nicht hier gefunden werden, noch dazu in der Bischofskrypta, in der Nähe der... Geheimtür. Die Kommissarin, die heute Morgen bei mir war, wird bestimmt auch zu dir kommen.«
»Ich werde schweigen«, sagte Martin. »Von mir erfährt sie nichts. Das bin ich Josef schuldig.«
»Es geht nicht nur um die Polizei. Martin, ich muss wissen, was Josef dir über die Geheime Zunft erzählt hat.«
»Warum schauen Sie nicht im Buch nach?«, fragte Martin, beinahe spöttisch, wie es Scharenbroich schien. »Da Sie jetzt so schnell und unverhofft Josefs Nachfolger geworden sind, dürfen Sie es doch an sich nehmen.«
Hat er es gestohlen?, fragte sich Scharenbroich. Und wenn nicht er, wer dann? »Das Buch ist nicht an seinem Platz.«
»So?«, sagte Martin. »Wie dumm für Sie. Nun sind Sie also Geheimnisträger und kennen das Geheimnis gar nicht, das Sie zu tragen haben.«
»Das ist nicht komisch, Martin!«
»Von mir erfahren Sie jedenfalls nichts. Ich habe Josef versprechen mit niemandem über die Dinge zu sprechen, in die er mich eingeweiht hat. An dieses Versprechen halte ich mich.«
»Warum hast du mich in der Nacht denn dann überhaupt aus dem Bett geklingelt?«
Martin zuckte die Achseln. »Ich war verwirrt und in Panik. Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.«
Scharenbroich hatte das Gefühl, dass ihm alles entglitt. Er bemühte sich einen klaren Gedanken zu fassen. »Du hast das Buch an dich genommen, nicht wahr? Ich bitte dich es mir zu geben. Ich verspreche, dass niemand von dem Diebstahl erfahren wird. Es geht doch nicht nur um uns beide. Wir wissen nicht, was hier möglicherweise auf dem Spiel steht. Was ist dort unten, Martin, was hat Josef dir darüber erzählt? Sein Tod muss etwas mit der Geheimen Zunft zu tun haben.«
»Wenn Sie den Schlüssel hätten, könnten Sie selbst die Geheimtür öffnen, die Treppe hinabsteigen und nachschauen«, sagte Martin eisig. »Aber dazu wären Sie viel zu feige.« Er sprang auf. »Menschen wie Sie werden niemals verstehen, was wirklich wichtig ist!«
Er wollte gehen, doch Scharenbroich hielt ihn fest. »Warte, Martin. Ich brauche das Buch, und ich werde es mir beschaffen!«
Aber Martin riss sich los und rannte wortlos aus der Kapelle. Scharenbroich schaute ihm schwer atmend hinterher. Was geht nur im Kopf dieses Jungen vor? Und wenn er doch der Mörder ist? Vielleicht haben sie sich gestritten und es ist im Affekt geschehen ... Nein, er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Martin fähig war einen Menschen zu töten, noch dazu seinen Geliebten.
Scharenbroich verließ die Kapelle und ging langsam, sich schwach und zittrig fühlend, durch den Dom. Vor der Schmuckmadonna im Nordquerhaus blieb er stehen und starrte grübelnd in das kleine Meer aus Kerzenflammen. Er erinnerte sich an dieses sonderbare Gespräch mit Josef, das nun schon fast ein Jahr zurücklag. Der Dompropst, der sonst stets eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlte, hatte an jenem Abend äußerst beunruhigt gewirkt. »Gut möglich, dass ich dir in den nächsten Tagen erlaube das Siegel zu brechen, und dich einweihe, Albert«, hatte er gesagt. »Ich glaube, wir müssen das Geheimnis auf mehr Schultern verteilen. Einige Leute sind dabei, eine entsetzliche Dummheit zu begehen und damit eine schreckliche Gefahr für die ganze Stadt heraufzubeschwören.«
Das war gewesen, bevor Josef sich völlig in seinen Liebesrausch mit Martin gestürzt und sich, wie es Scharenbroich erschienen war, kaum noch für andere Dinge interessiert hatte. Scharenbroich, der wie immer
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