Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
so etwas wie ein väterlicher Freund. Die beiden haben lange Gespräche über... theologische Fragen geführt. Weihbischof Oster schätzte solche Gespräche sehr. Wie geht es denn mit Ihren Ermittlungen voran?«
Susanne beugte sich im ledergepolsterten Besuchersessel vor. »Wir haben eine Zeugin gefunden.«
Scharenbroich machte ein irritiertes Gesicht. »Wie? Eine Zeugin, die den Mord beobachtet hat?«
»Das nicht. Aber sie hat gesehen, wie zwei Männer die Leiche aus dem Dom getragen haben.«
Scharenbroich wurde blass. Einen Moment rang er sichtlich um Fassung. Dann sagte er zögernd: »Aber das würde ja bedeuten, dass der Mord ... Nein, ausgeschlossen. Er kann nicht im Dom stattgefunden haben. Wer sollte denn imstande sein, in unserem Gotteshaus einen Mord zu begehen? Außerdem hat doch nachts niemand Zugang ... Die Domschweizer ... Ausgeschlossen, die Zeugin muss sich irren.«
Susanne sah die feinen Schweißperlen auf seiner Oberlippe und seinen Schläfen. Einer der beiden Männer war klein und rundlich, hatte Karla gesagt. Dunkle Anzüge. Scharenbroich trug auch jetzt einen dunklen Anzug. Sie spürte einen leichten Adrenalinstoß - wie eine Jägerin, die ihrer Beute ganz nahe ist.
»Wir sind dabei, eine Liste verdächtiger Personen zu erstellen, die für eine Gegenüberstellung infrage kommen«, sagte sie. »Dabei hoffe ich auf Ihre Mithilfe.«
Scharenbroich schüttelte den Kopf. »Ein Mord im Dom? Wie zuverlässig ist denn diese Zeugin? Ich meine, wer sich nachts um diese Zeit auf der Domplatte herumtreibt... «
Verdammt, damit hatte er genau Susannes wunden Punkt getroffen. Eine obdachlose, geistig verwirrte Alkoholikerin war keine zuverlässige Zeugin. »Nun, wir gehen allen Hinweisen nach.«
Mist! Susanne sah, wie Scharenbroich sich wieder etwas entspannte. Er konnte sich jetzt ausrechnen, dass Susannes Zeugin nicht viel taugte.
Scharenbroich sagte: »Ich versichere Ihnen, dass der Täter nicht unter den Domgeistlichen und unseren anderen Mitarbeitern zu suchen ist.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein?«
»Weihbischof Oster war ein allseits beliebter und geachteter Mann. Er hatte keine Feinde. Und für unsere Mitarbeiter lege ich meine Hand ins Feuer.«
Er warf einen nervösen Blick zu dem Holzkreuz an der Wand.
Die Hand, die er Susanne wenig später zum Abschied reichte, fühlte sich nicht so an, als hätte er sie für irgendjemanden ins Feuer gelegt. Sie war kalt und schweißnass. Hatten Hatheyer und Oster wirklich nur »theologische Gespräche« geführt? Sie dachte an Osters schönen Körper und daran, wie zart und feminin Hatheyer wirkte.
Als Susanne nach dem Gespräch mit Scharenbroich zur U-Bahn-Station vor dem Hauptportal des Doms ging, ertappte sie sich dabei, dass sie die graue Steinmasse der Kathedrale und den Platz nach Tauben absuchte. Das mit den Tauben hatte Chris sehr beunruhigt. Susanne hoffte die Vögel wieder in Scharen herumflattern zu sehen. Doch sie entdeckte keine Einzige. Die Tauben waren nicht zurückgekehrt. Susanne fröstelte und zog ihre Jacke enger um die Schultern, um sich vor dem kalten Wind zu schützen.
In der Eifel stand Chris Adrian am Gartenzaun des alten Forsthauses und sah zu, wie das Fernsehteam seine Ausrüstung in den Kleinbus lud. Der Regisseur kam noch einmal zu ihr und drückte ihre Hand.
»Wann wird der Bericht gesendet?«, fragte Chris.
»Oh, das hatte ich Ihnen noch gar nicht gesagt! Schon morgen. Er war erst für nächste Woche eingeplant, doch in der Sendung morgen ist noch Platz, also wurde er vorverlegt.«
Chris schaute ihn an. Er war jung, trug ein schwarzes Kölner City-Outfit. Auch seine kurzen Haare waren schwarz, mit Gel darin. »Ganz ehrlich«, sagte sie. »Sie glauben doch kein Wort von dem, was ich Ihnen erzählt habe. Sie halten mich für eine Spinnerin.«
Einen Moment blickte er verlegen zu Boden, dann sah er auf und grinste unsicher. »Ich glaube an gar nichts«, sagte er. »Ich filme einfach das, was da ist. Dann können die Leute sich selbst eine Meinung bilden.«
»Aber was ist Ihre Meinung?«
Er zuckte die Achseln. »Ich finde die Welt zu verwirrend, um mir eine Meinung zu bilden.«
Er wünschte ihr noch viel Glück, ehe er rasch zum Kleinbus ging. Der Kameramann winkte Chris zu, dann sah sie den Bus davonrollen. Sie schaute zum Forsthaus und dachte wehmütig daran, wie wohl sie sich hier gefühlt hatte, wenigstens zeitweise. Langsam ging sie durch den Kräutergarten, den sie letzten Sommer so hingebungsvoll
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