Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
gekommen war, hatte er es erst gar nicht glauben wollen. Er hatte am Telefon gestanden und wütend gerufen: »Nein, das ist unmöglich! Ein Vandenberg-Haus stürzt nicht ein, egal wie alt es ist!« Und dann diese schrecklichen Anschuldigungen im Radio und der Lokalpresse!
Langsam stieg Heike die Stufen zum Eingang hoch. Ihre Einstellung zu dem riesigen Haus blieb zwiespältig. An manchen Tagen kam es ihr wie ein Traum vor, mit dem Mann verheiratet zu sein, dem das alles gehörte. Als Kind, wenn ihre Eltern sich wegen des Geldes für die Miete oder wegen Vaters Trinkerei stritten, hatte Heike sich oft in eine Phantasiewelt geflüchtet, in der sie in einem großen, prächtigen Haus lebte, wo die Leute immer leise und höflich miteinander sprachen und von Dienstboten umsorgt wurden. Nun brauchte Heike tatsächlich keine Hand zu rühren. Es gab eine Köchin, ein Hausmädchen, einen Gärtner.
An sonnigen Tagen, wenn das Buntglas in den gotischen Fensterrosetten der Eingangshalle leuchtete, liebte sie die Villa ganz besonders. Dann saß sie in einem der alten Ledersessel, schaute dem Spiel des
Lichts in diesen faszinierenden Fenstern zu, die Rolands Urgroßvater geschaffen hatte, trank Tee und träumte. Oder sie ging mit Ahriman draußen im Park spazieren. Heute war der Himmel wolkenverhangen, sodass die große Halle mit ihrem bis unter das Dach reichenden gotischen Gewölbe düster wirkte. Es war einer dieser Tage, an denen Heike sich zwischen all der architektonischen Pracht klein und verloren fühlte. War es nicht eigentlich eine Verschwendung, dass zwei Menschen allein ein so gewaltiges Haus bewohnten? Sie musste an das kleine Zimmer denken, dass sie sich früher mit ihrer Schwester hatte teilen müssen. Nicht einmal die Dienstboten wohnten noch hier. Sie kamen nur zum Arbeiten in die Villa, die für sie vorgesehenen Räume standen leer, ebenso wie das Gärtnerhaus im Park, seit der Gärtner mit seiner Familie ins Haus seiner Schwiegereltern draußen bei Brühl umgezogen war.
Heike wünschte sich, in den großen Zimmern Kinderlachen zu hören. Als sie noch als Fotomodell gearbeitet hatte, waren Kinder kein Thema gewesen. Sie ruinierten die Figur und standen der Karriere im Weg. Aber seit sie in der Villa lebte, spürte sie, wie ihre Einstellung zu Kindern sich wandelte. Sie verstand nicht, warum Roland noch keine Kinder wollte. Kinder würden Leben ins Haus bringen, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Körper bereit dafür war. Möglicherweise gab es in diesem Haus eine besondere, fruchtbare Energie. Immerhin hatte Rolands Mutter vier Kinder geboren und auch die früheren Generationen der Vandenbergs war en stets kinderreich gewesen.
Ahriman hatte vor dem Kamin gelegen und gedöst. Jetzt lief er herbei, um Heike zu begrüßen. Sie ging in die Hocke und der schwarze Riesenhund leckte ihre Hände und gab ihr einen feuchten Kuss auf die Nase.
»Vielleicht bist du ja mein Ersatzkind«, sagte sie, »ein ziemlich großes noch dazu.« Sie war sicher, dass dieser Hund jedes ihrer Worte verstand. Eigentlich hatte sie ihn gar nicht haben wollen. Roland hatte ihn ihr vor zwei Jahren geradezu aufgedrängt, als Beschützer, wenn er nicht da war. Damals war Ahriman erst fünf Monate alt gewesen. Der ungewöhnliche Namensvorschlag stammte von Onkel Harald, der ja selber auch ziemlich ungewöhnlich war, und vielleicht hatte Heike Rolands Patenonkel gerade deshalb ins Herz geschlossen.
Aus der Küche, wo Frau Runde das Abendessen zubereitete, drangen angenehme Gerüche. Roland kam aus seinem Arbeitszimmer. Wie gut er aussieht, dachte Heike. Es wurde ihr nie langweilig, ihn anzuschauen. Sie liebte seinen großen, schlanken, sportlichen Körper. Er kam und nahm sie in die Arme. »Tut mir Leid«, sagte er. »Ich muss noch mal weg.«
Sie war enttäuscht. »Ich dachte, wir würden zusammen essen.« In letzter Zeit arbeitete er sehr viel, so dass sie sich immer weniger sahen.
Er gab ihr einen zärtlichen Kuss. »Morgen verbringen wir den Abend zusammen, das verspreche ich dir. Und am Samstag gehen wir schön aus. Ehrenwort.«
Sie erwiderte den Kuss. »Gibt es etwas Neues wegen dem Hauseinsturz?«
Sein Gesicht verdunkelte sich. »Heute war's eigentlich ruhig. Ich hatte schon gedacht, die Polizei würde wieder aufkreuzen, nachdem diese Kommissarin mich gestern ausgefragt hat. Na, es wird sich wohl rasch aufklären, dass ich gar nichts mit dem Einsturz zu tun haben kann. Wie war euer Esoterik-Nachmittag?«
Roland betrachtete Heikes,
Weitere Kostenlose Bücher