Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
unser Kaffeekränzchen ein reiner Theorieverein, dachte Heike. Wir reden über Dinge, die wir in irgendwelchen Büchern gelesen haben, und spielen kleine, alberne Spielchen mit Pendeln und Tarotkarten. Diese Frau ist tatsächlich in Kanada gewesen und bei einem alten Indianer in die Lehre gegangen. Sie hat echte spirituelle Erfahrungen gemacht. Heike schloss die Augen und sehnte sich plötzlich danach, Chris Adrian persönlich kennen zu lernen. Vielleicht kann sie mir helfen, dachte Heike. Vielleicht kann sie mir zeigen, wie ich mit meinem Leben besser klar komme.
Er kniete vor dem kleinen Altar, den er neben seinem Bett errichtet hatte, und betete. Vor ihm auf dem Altar stand das Kreuz - zwei im rechten Winkel übereinander gelegte Geraden als Verkörperung des reinen, von irdischen Bindungen befreiten Geistes, der ausschließlich den Gesetzen abstrakter, göttlicher Vernunft unterworfen war. Daneben lag eine kleine goldene Sonnenscheibe - Symbol für das Licht Gottes, das alle Materie durchdrang und demjenigen Erlösung brachte, der sein Herz für die himmlische Liebe und Weisheit öffnete.
»Ich danke dir, Gott«, betete er, »dass deine himmlische Weisheit und Liebe mich erfüllen. In der klaren Weite des Himmels leuchtet dein ewiges Licht als Kontrast zur Finsternis dieser Welt. Schon bald werde ich deine Liebe zu den Menschen bringen. Mit meinem Flammenschwert werde ich Aberglauben und fleischliche Sünde ausmerzen und den Menschen Gerechtigkeit und Frieden bringen. Ich danke dir, dass du mich auserwählt hast. Amen.«
Das Gebet erfüllte ihn mit neuer Kraft. Die Liebe Gottes durchströmte ihn. Er wusste, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Nun sprach er eine leise Fürbitte für die Seelen von Dompropst Oster und Schwester Hildegardis, die er erlöst hatte. Spontan entschloss er sich auch für das Seelenheil jener bemitleidenswerten Frau zu beten, die er vorhin im Fernsehen gesehen hatte. Sie hatte sich völlig in den Fallen der Welt verstrickt. Er spürte, wie sein Körper sich beim Gedanken an diese Frau anspannte, wie sich die Knöchel seiner im Gebet gefalteten Hände gegeneinander pressten. Der Körper war schwach. Der Körper gehörte der fleischlichen Welt an.
Zur Zeit der Inquisition wäre sie dem Feuer des Scheiterhaufens überantwortet worden. So hätte man ihr Gelegenheit gegeben in den reinigenden Flammen ihre Seele zu läutern. Die Absichten der Heiligen Inquisition wurden von der modernen Geschichtsforschung, von Frauen vor allem, völlig falsch dargestellt. Mit einer bewussten Willensanstrengung gelang es ihm, seinen Körper wieder zu lockern und seinen Atem zu beruhigen. Er konzentrierte sich auf den reinigenden Duft des Weihrauchs, den er in einem kleinen silbernen Räuchergefäß verbrannte.
Sein Blick war an der Ankündigung in der Zeitung haften geblieben. Eine Schamanin in der Eifel. Eine HEXE. Schamanismus war ein neumodisches Wort, das heutzutage gerne von Anthropologen benutzt wurde. Er hatte sich die Sendung ansehen müssen. Er hatte sich die Anfangszeit dick mit rotem Filzstift in seinem Terminkalender notiert und war mit langen Schritten vom Dom zu seiner Wohnung geeilt, um sie auf keinen Fall zu versäumen. Diese Frau benötigte wirklich sehr viel Barmherzigkeit und Fürbitte. Wer so dem Aberglauben verfallen war, würde in diesem Leben gewiss keine Erlösung finden. Mit Tieren, Pflanzen und Steinen zu sprechen, auf ihre Botschaften zu hören, war der Weg ins Verderben. Statt ihr Gesicht zum Himmel, zu Gott zu erheben, machte sich die Frau zum Werkzeug dämonischer, erdgebundener Kräfte. Diesen gefährlichen Falschglauben hatte die Kirche im Mittelalter bekämpft. Das war nur mit harter, züchtigender Hand möglich - und mit sehr viel Liebe für die Gestrauchelten.
Viel zu rund und sinnlich hatte sie ausgesehen. Große Brüste, schweres, erdgebundenes Fleisch. Sie war weit vom Himmel entfernt. Aber er würde die göttliche Gnade auf die Erde zurückbringen, Reinigung und Läuterung. Er würde den Menschen beweisen, wie sehr Gott sie liebte. Und er beschloss sich zu gegebener Zeit mit dieser so genannten Schamanin zu befassen, die mit ihren abergläubischen Ritualen die Menschen in Versuchung führte. Doch im Moment gab es Wichtigeres zu tun. Er löschte die Kerzen auf dem Altar und ging zu Bett. Rasch schlief er ein, im Herzen ein warmes Gefühl der Liebe zu allen Menschen. Sicher und geborgen im Schoße Gottes schlief er den Schlaf des Gerechten und erwachte am
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