Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
ich gar nicht«, sagte sie, »habe mich gegen das gesträubt, was angeblich meine Bestimmung sein sollte, aber er ließ nicht locker. Er wollte sein Wissen unbedingt an Weiße weitergeben, damit sie es in die westliche Zivilisation hineintragen.« Sie zuckte die Achseln. »Damit habe ich mir ganz schön was aufgehalst.«
»Und was ist die Botschaft dieses alten Indianers an die westliche Zivilisation?«, fragte der Reporter.
Heike fand den kleinen Zopf süß, der Chris Adrian über der Schläfe herabbaumelte. Jetzt wickelte sie ihn sich mit nachdenklicher Miene um den Zeigefinger. »Na ja, vor allem wohl, dass das alles dort draußen«
- sie deutete mit einer Geste zum Fenster - »lebendig ist. Damit meine ich nicht bloß die Tiere und Pflanzen, sondern auch die Steine, das Land. Ja sogar die Erde selbst. Das ist alles ein zusammenhängender Organismus. Und wir sind nicht davon abgetrennt, sondern sind Zellen dieses Organismus.«
»Aber so, wie wir mit der Erde umgehen, sind wir dann wohl eher so etwas wie Krebszellen«, meinte der Reporter. Chris seufzte.
»Ja, leider.«
Dann leuchteten ihre Augen auf. Heike gefiel dieser hellwach funkelnde Blick. Ihr Gesicht wirkte offen und gutmütig. »Aber wir können dazulernen, nicht wahr? Das war Silver Bears Hoffnung. Na, und ich gebe die Hoffnung auch noch nicht auf. Ich möchte hier im Park gerne schamanische Seminare veranstalten, für Erwachsene, aber auch, das ist mir besonders wichtig, für Kinder. Damit sie lernen sich als Teil der Erde zu fühlen. Leider halten die Verantwortlichen hier im Park das für unwissenschaftlichen Hokuspokus und erlauben es mir bis jetzt nicht« - die Art, wie sie dabei plötzlich die Stirn runzelte, ließ auf ein ziemlich heftiges Temperament schließen -, »aber ich hoffe, ich kann sie doch noch überzeugen. Letzten Endes ist Schamanismus angewandte Ökologie.«
»Wie können wir denn diese Verbindung zur Erde herstellen?«, fragte der Reporter.
»Durch Kommunikation«, antwortete Chris Adrian. »Indem wir lernen mit den Tieren, Pflanzen und Steinen zu sprechen.« Sie lachte. »Ich weiß, das klingt, als hätte ich einen an der Murmel. Aber, ob Sie's mir nun glauben oder nicht, alle lebendigen Dinge haben ihr eigenes Bewusstsein. Und dieses Bewusstsein ist gar nicht so verschieden von unserem. Wir können lernen mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Und die Tiere, Pflanzen und Steine freuen sich darüber. Sie haben Botschaften für uns. Auf diese Weise können wir intelligent mit der Natur zusammenarbeiten, statt gegen sie Krieg zu führen.«
Chris zog die Nase kraus. »Krieg führen ist was für Dummköpfe. Kooperation ist der Schlüssel, hat Silver Bear immer gesagt. Er war übrigens kein primitiver Wilder aus dem Busch oder was sich manche Leute sonst unter einem Indianer vorstellen. Er hatte Doktorgrade in Psychologie und Medizin und hat viele Jahre als Dozent an einer Universität gearbeitet.«
Nach kaum zehn Minuten war das Interview schon wieder vorbei. Heike hätte Chris Adrian gerne noch viel länger zugehört. Die Reportage endete damit, dass Chris auf einem Hügel stand und das Ritual erläuterte, das man bereits zu Beginn des Films gesehen hatte: Sie verbrannte Salbei in einer Steinschale und fächerte den Rauch mit einer Feder in die vier Himmelsrichtungen, über den eigenen Körper und zum Boden hin.
»Es ist ein Rauchopfer«, sagte sie. »Ein Weg, dem Land, das uns ernährt, unsere Dankbarkeit zu zeigen. So wird unsere Verbindung mit dem Land enger und wir können seine Botschaften besser verstehen.«
Chris war recht kräftig gebaut, und man sah ihr an, dass sie, wenn sie sich nicht gerade ihren schamanischen Ritualen widmete, bestimmt gerne aß.
Heike fand sie sehr sympathisch. Ihr rundliches Gesicht hatte etwas Kindliches und zugleich Wissendes. Heike ärgerte sich, dass sie den Bericht nicht auf Video aufgezeichnet hatte. Die zehn Minuten waren wie im Flug vergangen. Sie hätte sich gerne ein zweites Mal angehört, was Chris Adrian über die Botschaft dieses Silver Bear gesagt hatte.
Anschließend zappte Heike lustlos durch das an diesem Abend ziemlich öde Angebot auf den diversen Kabelkanälen. Sie schaltete den Fernseher aus und fischte sich ein Buch, das sie vor einigen Wochen gekauft hatte, aus dem Stapel neben dem Sofa. In >Die Weisheit der Indianer< standen ganz ähnliche Dinge. Aber bei Chris hatte es irgendwie lebendiger geklungen. Man spürte, dass sie aus persönlicher Erfahrung sprach. Im Grunde ist
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