Wendland & Adrian 02 - Die Krypta
Markierungen der Sternsinger gehen bis 1997.«
»Dann mussten die Häuser sicher im vorigen Jahr geräumt werden«, überlegte Susanne.
Tönsdorf schüttelte den Kopf. »Da haben sich die Leute hier eine kleine Idylle aufgebaut, für einen Lebensabend im Grünen und dann mussten sie das alles nach, na ja, ich schätze, fünfzehn Jahren wieder verlassen. Wie die sich wohl dabei gefühlt haben?«
Vor manchen Häusern parkten ältere Autos mit abgelaufener Zulassungsplakette, die die einstigen Bewohner offenbar mit ihren Häusern zurückgelassen hatten. An den Vorderseiten der Häuser leuchteten rote Warnaufkleber mit der Aufschrift »Vorsicht! Rattengift!«. Die Nager hatten sich hier wohl explosionsartig ausgebreitet, nachdem die menschlichen Bewohner aus der Siedlung verschwunden waren.
»Sieht alles ein bisschen so aus, als hätte der ganze Ort plötzlich evakuiert werden müssen. Wegen eines Atomunfalls zum Beispiel. Oder einer Naturkatastrophe.«
Tönsdorf schnaubte. »Die einzige Naturkatastrophe in dieser Gegend heißt Kölnische Braunkohle AG. Der Braunkohle-Super-GAU, gewissermaßen. In einem Jahr ist von alledem nichts mehr da. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch. Dann schaufeln sie hier, wo wir jetzt stehen, Braunkohle aus dem Boden. Verrückt, nicht wahr ?« Tönsdorf schüttelte wieder den Kopf.
Sie gingen zum Wagen zurück und fuhren weiter. Bischofsweilers historischer Dorfkern war bereits weitgehend dem Erdboden gleich gemacht und an den vier oder fünf verbliebenen alten Bauernhäusern machten sich die Abrissbagger zu schaffen. Die kleine Dorfkirche neben diesen Häusern würde gewiss in Kürze gesprengt werden. Aus dem offenen Kirchturm hatte man bereits die Glocken entfernt. Am Straßenrand standen alte Männer und Frauen und schauten mit versteinerten Gesichtern den Baggerfahrern des Abrissunternehmens bei der Arbeit zu.
»Muss furchtbar sein für die Leute«, sagte Susanne. »Die haben ihr ganzes Leben hier verbracht und jetzt bleibt von ihrem Dorf kein Stein auf dem anderen.«
Gleich hinter Alt-Bischofsweiler stand, noch unversehrt, das Kloster Bethlehem. Doch die Bagger waren nicht mehr weit von ihm entfernt und gleich neben den Klostermauern entdeckte Susanne schwere Spezialfahrzeuge mit langen, senkrecht aufragenden Rohrgestellen. »Was machen die da wohl?«, fragte sie.
Tönsdorf hob die Schultern. »Wahrscheinlich bohren sie Entwässerungsbrunnen, um den Grundwasserspiegel abzusenken.«
Als sie in die Zufahrt einbogen, sah Susanne vor dem Kloster einen einzelnen Wagen parken. Am Kotflügel lehnte ein untersetzter, bulliger Mann im Trenchcoat. Tönsdorf stellte den Dienst-Opel neben ihm ab.
»Hauptkommissar Meilchen?«, fragte Susanne, als sie ausstiegen.
»Ihr seid also die Kollegen aus Köln? Na, primstens!«
Sie schüttelten sich die Hände. Dann sagte Meilchen mit einer weit ausholenden Geste: »Schaut euch das alles hier gut an. In zwei, drei Wochen ist nix mehr davon da.«
»Steht denn das Kloster nicht unter Denkmalschutz?«, erkundigte sich Susanne, während sie den mit alten, runden Steinen gepflasterten Weg hinaufgingen.
Meilchen schnaubte verächtlich. »Klar steht es unter Denkmalschutz. Immerhin laufen wir hier über höchst historischen Boden. Der Grundstein des Klosters wurde im selben Jahr gelegt, als sie in Köln mit dem Dombau anfingen. Aber was kümmert das die Kölnische Braunkohle AG und die Herren Politiker? Im Zweifelsfall ist denen immer die Kohle wichtiger.«
Während er an der Pforte schellte, sagte er: »Mal sehen, ob unsere Betschwestern heute Morgen ein bisschen gesprächiger sind als gestern, als wir wegen der Vermisstenanzeige hier waren.« Er warf Susanne einen augenzwinkernden Blick zu. »Vielleicht geht's ja von Frau zu Frau besser.«
Eine alte Frau in grauer Ordenstracht ließ sie ein. Die Begrüßung war knapp und wortkarg. »Schwester Elisabeth erwartet Sie«, sagte die alte Nonne nur und ging mit mühsamen Schritten vor den drei Polizisten durch den Innenhof, vorbei an einem großen, sehr gepflegt aussehenden Klostergarten, in dem den ganzen Frühling und Sommer über gewiss viele seltene Kräuter dufteten. Nein, dachte Susanne, in diesem Frühling nicht mehr, im Sommer nicht mehr - und überhaupt nie wieder.
Die Nonne führte sie in ein Arbeitszimmer im zweiten Stock des Gebäudes. Die Frau hinter dem Schreibtisch ging vermutlich auf die siebzig zu. Auch die drei anderen Schwestern, die Susanne im Haus gesehen hatte, mussten weit über
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