Weniger sind mehr
kurzer Unterbrechung zur Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit reizen würden.
Der Glaube an die geburtensteigernde Macht staatlich-ökonomischer Maßnahmen wird in den meisten Vorschlägen mit rührender Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. So in einer kleinen Arbeit des Berlin-Instituts für Bevölkerung, das auf die Torschlusspanik älter werdender Frauen der noch geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre setzt, die man gerade jetzt noch, vor den Wechseljahren stehend, mit Babyprämien zum Gebären bringen könne. »Mehr Kinder – sofort!« ist die Arbeit betitelt. 15
Nur selten scheinen die Demografieforscher von des Gedankens Blässe angehaucht, dass die schlichte Beziehung »mehr Geld gleich mehr Kinder« in komplexeren Zusammenhängen |242| aufgehoben wird. So räumt eine Studie des Rostocker Max-Planck-Instituts ein, dass die von ihm konstatierte Neigung der Skandinavier, nach Einführung des Elterngeldes zwei und mehr Kinder zu bekommen, auch mit der Arbeitsmarktlage, der aktiven Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, Gleichheitspolitik und Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen zu tun habe und nur ein Teil eines großen Puzzles sein könne. Dass in diesem Puzzle noch viel mehr Erklärungssteine stecken könnten, die nicht einfach von Skandinavien auf Deutschland übertragbar sind, lässt sich vermuten: insbesondere die Tatsache, dass in den kleinen skandinavischen Gesellschaften, die weniger als ein Zehntel der deutschen Bevölkerung aufweisen, Übersichtlichkeit, Homogenität und Konsensualität politische Eingriffe und Kehrtwenden stark erleichtern.
Was die Anhänger einer aktiven Bevölkerungspolitik ebenfalls übersehen: Wenn sich die Geburtenrate in Nordeuropa kurzzeitig etwas erholt hat, dann ist das nicht die Folge einer absichtsvollen Geburtensteigerungspolitik, sondern die unbeabsichtigte Folge von Gleichstellungsbestrebungen, die tief in einem kulturellen Konsens verwurzelt sind. Was ebenfalls völlig außer Betracht bleibt, ist die Frage nach den psychischen Implikationen solcher politischen und kulturellen Trends.
»Ist Schweden ein kinderfreundliches Land?«, wurde die schwedische Autorin Anna Wahlgren, Mutter von neun Kindern mit drei Männern und Verfasserin von 27 Büchern, gefragt. Nein, antwortet sie, in Schweden sei es nur leichter, sein Kind in Kinderkrippen abzugeben. Kleine Kinder lachten wenig und spielten nicht frei, fantasievoll und unbekümmert. Ein großer Teil der Jugendlichen sage, sie hätten absolut niemanden, mit dem sie sprechen könnten. Der schwedische Wohlfahrtsstaat eigne sich nicht als Modell, denn Kinder und Alte würden in ihm beiseitegeschoben und es ginge ihnen schlecht dabei. Der Grund sei, dass viele Familien zwei Gehälter brauchten und dass die Frauen ein von den Männern geprägtes Bild der Arbeitswelt übernommen |243| hätten. Deshalb, so die schwedische Autorin, gäbe es bisher keine anderen Lösungen, als die Kinder abzuschieben. Stattdessen sollte man die Arbeit in die Familie zurückholen oder, wo das nicht möglich sei, die Kinder mit zur Arbeit nehmen und in Betriebskindergärten unterbringen können. »Rettet wenigstens die ersten drei Jahre!«, ist das Interview überschrieben. 16
Die Frage, ob und wie lange Mütter ihre beruflichen und materiellen Interessen zurückstellen und nur für ihre Kinder da sein sollen, lädt trefflich zum weltanschaulichen Streiten ein. Anna Wahlgren nähert sich mit ihrer Kritik der schwedischen Verhältnisse einer deutschen Position an, die zuletzt durch die Fernsehjournalistin Eva Herman großes Aufsehen erregt hat. 17 In Deutschland wird der Konflikt zwischen Mutterrolle und Berufsrolle besonders stark erlebt und kontrovers diskutiert – mit dem Ergebnis, dass berufstätige Frauen, wenn sie ein, zwei oder gar drei Kinder bekommen, sich ganz oder halbtags aus dem Beruf zurückziehen. Die andere Möglichkeit besteht darin, dass sie auf Kinder verzichten, die sie im Grunde doch gerne hätten. Geschieht dies, weil der Staat nicht genug tut, um Beruf und Familie vereinbar zu machen? Oder liegt der Grund im Bild der guten Mutter, die immer für ihre Kinder da ist – einem Bild, das kulturell tief verwurzelt ist und sich durch politische Anreize nicht einfach aus den Angeln heben lässt?
Bei der Suche nach einer Antwort richtet sich der Blick der Bevölkerungspolitiker und Demografen nach Westen. Frankreich hat, nach Island und Irland, mit rund 1,9 Kindern pro Frau die höchste Fertilitätsrate. Kinder
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