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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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Ähnlichem zuteil werden lassen? Und hat sie es damit nicht verstanden, die allgemein zurückgehende Geburtenziffer deutlich über dem westdeutschen Niveau zu halten? Die Fragen sind zu bejahen. Gleichwohl hat die DDR durch die Geburtenförderung nur die Not des niedrigen Produktivitäts- und Einkommensniveaus, besonders auch der Wohnungsknappheit gelindert, die sie selbst durch das Intervenieren in allen möglichen Lebensbereichen erzeugt hat.
    Mit dem weltweiten Zusammenbruch des Staatssozialismus zeigte sich besonders auch in der DDR, dass sich unter den Auspizien des ziel- und sinnstiftenden, allwissenden und fürsorglichen Staates eine weithin sinnlos-absurde, ignorante und armselige Stagnation eingestellt hatte. Der vom Staat diktierte und propagierte Fortschritt erwies sich im Vergleich mit den Gesellschaften, in denen der Staat gegenüber anderen Lebenssphären liberal und zurückhaltender agierte, als Rückschritt. Die im politischen Treibhaus künstlich hoch gehaltene Geburtenrate brach denn auch mit dem volksdemokratischen Staat und der sozialistischen Ökonomie zusammen.
    |240| Für die deutschen Demografen und Familienforscher, die sich als progressiv verstehen, liegt das Mekka der neuen Bevölkerungspolitik im Norden. Sie haben den Blick fest auf die skandinavischen Länder gerichtet, in denen, wie in Finnland, die Fertilitätsrate sich mit 1,7 Kindern pro Frau seit längerem über dem deutschen Durchschnitt stabilisiert hat, oder, wie in Schweden, die Fertilitätsrate von 2,13 Kindern im Jahr 1990 auf einen Tiefpunkt von 1,5 im Jahr 1998 fiel und sich nach anschließender Erholung heute bei 1,8 befindet. In den skandinavischen Ländern sehen die Demografen das Tal der tiefen Fertilitätsraten nun als durchschritten und die Wende zum Aufschwung für gekommen.
    Für die meisten steht es außer Frage, dass der Grund dafür in nichts anderem zu suchen ist als in kluger Geburtenpolitik, in einer Politik nämlich, die die Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Familienleben erlaubt, ja befördert und so auf die Bedürfnisse von modernen jungen Paaren und nicht auf die traditionelle Hausfrauenehe zugeschnitten ist. Diese Interpretation wird von allgemeinem Frohlocken begleitet, ruht sie doch in dem Glauben, dass Geburtenraten nicht nur durch Politik schlechthin, sondern gerade durch eine moderne Politik für Gleichberechtigung und nicht durch ein Zurückdrehen des Rades in die alte Geschlechtsrollenverteilung zu bewerkstelligen sei. Das Loblied Skandinaviens ist denn auch verbunden mit kräftigen Seitenhieben auf die konservative Demografie und Bevölkerungspolitik. Was in der deutschen öffentlichen Diskussion mit Verweisen auf fallende und wieder steigende Geburtenraten ausgetragen wird, hat wenig mit differenzierten Erklärungen von sozioökonomischen und demografischen Entwicklungsprozessen zu tun und hängt viel mit ideologischem Hickhack um die bessere Lebensform zusammen.
    Die Anhänger des Skandinavien-Modells sitzen in relativ jungen Institutionen wie dem Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung (Direktor James W. Vaupel), dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Direktor |241| Reiner Klingholz) und an der Berliner Humboldt-Universität, deren Familiensoziologe Hans Bertram auch federführend für den jüngsten Familienbericht des Ministeriums für Familie ist. Ihre Botschaften lauten: Nicht wo die Frauen am Herd stehen, sondern da, wo sie erwerbstätig sind, steigen heute die Kinderzahlen. Beim Spitzenreiter Island »erbringt« eine Frauenerwerbsquote von 80 Prozent eine Fertilitätsrate von zwei Kindern pro Frau. Zum Vergleich: In Deutschland sind knapp 60 Prozent der Frauen erwerbstätig, die Fertilitätsrate liegt je nach Berechnung zwischen 1,3 und 1,5.
    Der Zusammenhang kann natürlich nur hergestellt werden, wenn für die Kinder arbeitender Mütter gesorgt ist. Deshalb betonen die Protagonisten des skandinavischen Vorbilds, man könne aus diesem lernen, dass es der Fertilitätsrate zugutekomme, wenn Eltern ihre Wochen- und Lebensarbeitszeit flexibel gestalten und so trotz beider Berufstätigkeit ihre Familienzeit vergrößern könnten; wenn der Staat mehr Geld für Kinder und Familie ausgebe; wenn für alle Kinder unter drei Jahren Krippenplätze zur Verfügung stünden; wenn die staatlichen Zuwendungen in Form von Babygeld, Kindergeld, Elterngeld und Steuererleichterungen weniger den Hausfrauen und eher den berufstätigen Frauen zugutekämen und diese nach nur

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