Weniger sind mehr
Wirtschaftlichkeit anderer Volkswirtschaften, etwa Polens, Koreas, Chinas.
Das Angebot an Arbeit
Wo keine Kinder geboren werden, wachsen keine Arbeitskräfte nach; wo keine Arbeitskraft ist, erlahmt die Wirtschaftskraft. Von diesem Pessimismus nährt sich ein Gutteil der Demografiedebatte |54| . Er ist ebenso schlicht wie abwegig. Die Arbeitskraft einer Volkswirtschaft ist ganz und gar nicht auf die im Volk geborenen Kinder angewiesen. Im Gegenteil: Prosperierende Wirtschaften wie die der Schweiz, Luxemburgs, der Arabischen Emirate bauten zum großen Teil auf importierte Arbeit. Unabhängig davon hat sich die Wirtschaft die Arbeitskräfte, die sie braucht, noch immer zu beschaffen gewusst und wird es auch weiterhin tun: durch Abbau der Arbeitslosigkeit, gesteigerte Erwerbstätigkeit der Frauen, verlängerte Tages- und Wochenarbeitszeiten, verlängerte Lebensarbeitszeit (Rente mit 67), früheren Eintritt der Jungen ins Berufsleben und gesteigerte Produktivität der Arbeit.
Die Arbeitskraft der Arbeitslosen steht der Wirtschaft, wie man meinen sollte, am unmittelbarsten und auf Abruf zur Verfügung. Aber das scheint nur auf den ersten Blick so. Arbeitslose sind meist nicht da, wo die Arbeit ist, und auch nicht immer flexibel genug, sich auf die Arbeit zuzubewegen. Sie haben oft nicht den Eifer, die Belastbarkeit und die Umgänglichkeit, die heute in fast allen Arbeitsfeldern erwartet werden. Sie sind oft unter- oder überqualifiziert, so wie der Ingenieur, der in Deutschland nicht auf die Idee käme, eine Reparaturwerkstatt oder Imbissbude zu eröffnen; der Polier, der nie als Schaffner oder Rangierer arbeiten würde; der Maurer, der nicht Spargel stechen oder Trauben ernten würde. Dieses Nichtzusammengehen von Arbeit und Arbeitslosen kann man freundlich als deren Überqualifikation, weniger freundlich als ihre Unbeweglichkeit und damit Unterqualifikation bezeichnen, soziologisch betrachtet handelt es sich nicht um eine Eigenschaft von Personen, sondern von soziokulturell differenzierter Arbeitskultur.
Das bedeutet, dass sich jedes Arbeitsfeld und jede wirtschaftliche Branche ihr eigenes Reservoir an Arbeitskräften und den dazu passenden Beschaffungsmodus zugelegt hat. Die Maschinenbauindustrie greift nach deutschen Ingenieuren und Facharbeitern und bildet mit diesen zusammen eine eigene Arbeitskultur; Kleingewerbe (Wäschereien) und Kleinhandel (Kioske) gehen |55| an Koreaner/Vietnamesen und Iraner/Libanesen; Erntearbeit sucht sich Polen und Rumänen – wobei diese zu Hause meist nicht selbst Bauern und Landarbeiter, sondern eher Ingenieure und Lehrer sind, gleichwohl in Deutschland mit den deutschen Bauern zusammen eine Kultur der Landarbeit aufrechterhalten, die, obwohl deutsch, wegen niedriger Löhne und sozialer Reputation paradoxerweise mit deutschen Arbeitskräften gerade nicht zu halten ist.
Im Ergebnis heißt das, dass die deutsche Wirtschaft die deutsche Arbeitslosigkeit in wesentlichen Teilen gar nicht beseitigen kann und will. Und zwar aus wirtschaftlichen Gründen, in die aber die unterschiedlichen Kulturen der Arbeit mit ihren spezifischen und nicht austauschbaren Rekrutierungsmustern eingebunden sind. Eine Erhöhung der deutschen Geburtenziffer kann an dieser Eigenlogik der deutschen Wirtschaftsbranchen überhaupt nichts ändern und würde die Arbeitslosigkeit eher vergrößern als vermindern.
Den Bedarf an Arbeitskräften aus dem Pool noch nicht erwerbstätiger Frauen zu decken ist der deutschen Wirtschaft längst zur Gewohnheit geworden. Trotzdem ist es erstaunlich, wie langsam sich die Erwerbstätigenquoten insbesondere der Frauen mit Kindern nach oben bewegen. Die Wirtschaft selbst, insbesondere kleinere Unternehmen, sieht in der Einstellung von qualifizierten Frauen immer noch ein Risiko; sie könnten ja Kinder bekommen oder von Schul-, Krankheits- oder Drogenproblemen vorhandener Kinder von der Arbeit abgehalten werden. Die Sorgen der leistungsbewussten Wirtschaft und die Sorgen der familienleistungsbewussten Mütter treffen sich – und können auch durch eine gute Infrastruktur von Kinderversorgungseinrichtungen nicht ganz ausgeräumt werden. Die Konflikte liegen ja im Gegensatz der ökonomischen und der Familienansprüche begründet – und beide sind in Deutschland besonders hoch. Dies ist eine Eigentümlichkeit der deutschen Leistungskultur. Sie fordert wirtschaftliche ebenso wie familiale Höchstleistungen.
|56| Was in Deutschland als Konflikt für die Betroffenen (Frauen) besonders
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