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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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Sicht beneidenswert hohe Fertilitätsrate von 1,9 in Frankreich der dortigen Wirtschaft überhaupt nichts nützt, sondern sie im Gegenteil ins Hintertreffen führt. Zum zweiten: Der Wettbewerb um Nachfrage innerhalb der Europäischen Union ist von nichts weniger abhängig als von den Geburtenraten. Er hängt vielmehr von einer Reihe von ökonomischen Faktoren ab. In erster Linie von den Lohnstückkosten. Diese zeigen, wie günstig ein Produkt herzustellen ist, und dies ergibt sich aus dem Verhältnis von Löhnen und Produktivität. Die Produktivität der Arbeit, das heißt das Stunden- oder Tagesergebnis der Leistung eines jeden Beschäftigten, steigt in der Bundesrepublik seit jeher. Obwohl sich die Steigerungsraten in den letzten Jahrzehnten abgeflacht haben – sie liegen heute zwischen 1 und 2 Prozent –, sind sie immer noch steiler als die Steigerungsraten der Arbeitslöhne.
    Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit kommt es eben auf das günstige Verhältnis zwischen steigender Produktivität der Arbeit einerseits und weniger steigenden Löhnen und Lohnnebenkosten andererseits an. Dieses Verhältnis ist in der Geschichte der Bundesrepublik chronisch besser als in den Nachbarländern. Als |50| es den Euro und die Währungsunion noch nicht gab und jedes europäische Land seine eigene Währungspolitik betrieb, glichen die Nachbarn Deutschlands ihre relative ökonomische Schwäche dadurch aus, dass sie regelmäßig ihre eigene Währung gegenüber der D-Mark abwerteten. Dadurch wurden ihre eigenen Produkte im Export billiger. Besonders die Italiener und Franzosen nutzten diese Möglichkeit, um deutschen Firmen Marktanteile im Bereich des Exports abzujagen. Deutschland antwortete darauf regelmäßig mit erneuter Produktivitätssteigerung und Lohnzurückhaltung und gewann so im Vergleich zu den Nachbarn die alte Wettbewerbsstärke binnen weniger Jahre zurück. Heute verhindern feste Wechselkurse Auf- und Abwertungen, aber die dahinterstehenden Veränderungen im Kräfteverhältnis zwischen den nachbarschaftlich und europäisch verbundenen Wirtschaften gehen weiter. Selbst eine vereinbarte Lohnsteigerung von 3 Prozent wird, wie im Mai 2006 in der Metallindustrie geschehen, die Lohnstückkosten nicht erhöhen, da die Produktivität entsprechend steigt.
    Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zeigt sich nicht nur im Vergleich mit den übrigen westeuropäischen Ländern, sondern auch mit den östlichen und fernöstlichen Ökonomien, die erheblich höhere Wachstumsraten auch der Produktivität aufweisen. Auch in jenen Ländern bleiben die Lohnkosten den Produktivitätssteigerungen auf den Fersen. Was aber im internationalen Wettbewerb noch entscheidender ist: Der hohe Anstieg der Produktivität geht dort von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau aus. Die deutsche Wirtschaft, obwohl sie nur noch niedrige Produktivitätszuwächse aufweist, hält ihren Vorsprung im Hinblick auf die Qualität der Arbeit und ihrer Anreicherung mit technischem und wissenschaftlichem Innovationspotenzial.
    Dass sich Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit nicht in hohen Wachstumsraten der Gesamtnachfrage niederschlägt, liegt an der schwachen Binnennachfrage. Diese hängt natürlich mit der Lohnzurückhaltung zusammen. Sowohl die Bezieher von höheren |51| als auch die von niedrigen Einkommen geben wesentlich weniger Geld aus, als sie zur Verfügung haben, und legen einen beträchtlichen Anteil ihres Einkommens auf die hohe Kante. So kommt zu der Lohnzurückhaltung noch eine spezielle Nachfragezurückhaltung der Deutschen. Könnte dahinter nicht die niedrige Geburtenrate stecken? Kaum ist diese Frage gestellt, muss sie auch schon verneint werden: Denn es zeigt sich, seit Mitte 2005, dass auch die Binnennachfrage wieder anzieht. 3 Sie ist eben, genauso wie die Außennachfrage, von vielen Faktoren und Erwartungen abhängig, aber kaum vom Kinderreichtum.
    Die Verstärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit und damit die Attraktivität der deutschen Wirtschaft für ausländische Nachfrage hat nicht nur eine lange Tradition, sie läuft auch, wie ein gut geöltes Uhrwerk, unablässig weiter. Auch politische Maßnahmen, die gar nichts damit zu tun zu haben scheinen und ganz andere Ziele, wie zum Beispiel den Ausgleich des Bundeshaushalts, anstreben, bewirken in ihren unbeabsichtigten Konsequenzen eine Stärkung des Prozesses. Ein Beispiel dafür ist der Plan der großen Koalition, die Mehrwertsteuer ab 2007 kräftig zu erhöhen und einen Teil des Geldes

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