Weniger sind mehr
zu verwenden, um die Lohnnebenkosten zu senken. Damit verbessert die Wirtschaftspolitik die Wettbewerbssituation der deutschen Exportindustrie von der Kostenseite her. Sie verschlechtert aber auch die Situation der ausländischen Industrie. Denn die höhere Mehrwertsteuer wirkt wie ein Zoll und verteuert die Importe der ausländischen Anbieter, während sie die Exporte der Deutschen ungeschoren lässt. Durch den teilweisen Transfer der Steuereinnahmen in die Arbeitslosenversicherung werden die Lohnnebenkosten gesenkt. Die deutschen Firmen werden dadurch noch wettbewerbsfähiger.
Während diese Zusammenhänge in Deutschland auch von Ökonomen kaum thematisiert werden, behält man sie jenseits des Rheines umso wachsamer im Auge. Dort sorgen sie durchaus für politisch-nationalistische Empörung. Im Mai 2006 erregte eine Studie des Pariser Konjunkturforschungsinstituts OFCE |52| europaweit Aufsehen. In der Untersuchung mit dem Titel
France:
Le Coût d’outre-Rhin
4 werfen die Franzosen dem östlichen Nachbarn Deutschland vor, sich auf Kosten der Nachbarländer zu sanieren. 5
Dies kann man so sehen. Es ist aber auch eine merkwürdige Schuldverschiebung – nach außen. Es reduziert die Stärken beziehungsweise Schwächen eines Landes auf das Verhalten eines anderen. Es überzeichnet den Einfluss der Politik und ihrer Stellgrößen auf die Wirtschaft, und es unterschätzt die Eigendynamik und Selbstbestärkung respektive -schwächung einer Volkswirtschaft sowohl in Hinblick auf andere gesellschaftliche Systeme wie Politik, Familie, Religion, Sport, Bildung et cetera als auch in Hinblick auf andere Volkswirtschaften. Die Stärke der deutschen Wirtschaft, die sich in der kontinuierlichen, ja wachsenden Nachfrage nach deutschen Produkten und Kapitalinvestitionen in anderen Volkswirtschaften und Wirtschaftsräumen niederschlägt, beruht auf der Wertschätzung beziehungsweise der Aufwertung der angebotenen Güter und Produktionsweisen mehr als auf währungs-, steuer- oder lohnpolitischen Eingriffen. Die Vorsprünge, die die deutsche Exportwirtschaft im Vergleich zu anderen exportierenden Volkswirtschaften immer wieder erzielte, lagen im wirtschaftlichen Handeln selbst begründet, nicht in politischen Manipulationen.
Verständlicherweise versuchten die konkurrierenden Volkswirtschaften, diesen Vorsprung wettzumachen. Sie riefen dazu die Hilfe ihrer Regierungen an, und diese griffen immer wieder zu demselben Mittel: der Abwertung von Lira, Franc, Pesete gegenüber der D-Mark – solange es die einzelnen Währungen noch gab. Es ging also darum, eine auf den Exportmärkten »zu billig« gewordene D-Mark einzuholen, indem man die eigenen Währungen ebenfalls verbilligte: durch währungspolitischen, also politischen Beschluss. Die D-Mark selbst war aber nicht durch politischen Beschluss abgewertet worden, sondern durch erfolgreiches Wirtschaften.
|53| Es ist die Wirtschaftlichkeit der Wirtschaft, die dazu führt, dass mit geringerem Aufwand bessere und/oder mehr Güter und Dienstleistungen erwirtschaftet werden. Im Vergleich zu dem, was als Kosten in ihre Produktion hineingesteckt wurde, und zu dem, was die Güter später den Konsumenten kosten, steigt der Wert der Güter. Der Güterwert, so wie ihn der Nachfrager sieht, liegt über dem Wert des Geldes, das er dafür auf den Tisch legen muss. Es ist dieser wirtschaftlich selbst erzeugte Wertvorsprung, der deutschen Produkten die Nachfrage auf den Weltmärkten sichert. Ständig steigende Wirtschaftlichkeit in Anpassung an das, was die Kunden auf dem Weltmarkt brauchen und nachfragen, kann einer Volkswirtschaft aber schlechterdings nicht vorgeworfen werden.
Deshalb suchen sich die Vorwürfe einen anderen Adressaten, nämlich die deutsche Politik. Ihr rufen die Franzosen das »Haltet den Dieb« zu. Sie soll die Binnennachfrage stärken. Könnte sie das, so wäre damit allerdings nicht die Anziehungskraft deutscher Produkte auf die ausländische Nachfrage gebrochen. Ein so lange eingespieltes und gut geöltes Laufwerk wie die deutsche Volkswirtschaft in ihrem Biotop der Weltmärkte ist nur schwer zu erschüttern: nicht durch fehl- oder kontraproduktive Entscheidungen der eigenen Politik, aber auch nicht durch die Politik der konkurrierenden Länder – es sei denn, sie würden sich gegen den freien Handel insgesamt verschwören. Nur eines könnte der deutschen Wirtschaft auf ihrem Steigerungsritt zu noch mehr Wirtschaftlichkeit gefährlich werden: die noch größere Steigerung der
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