Weniger sind mehr
haben diese Möglichkeiten kaum. Mutterschutzgesetz, Erziehungsurlaub, flexible Arbeitszeit können sie ernsthaft in Bedrängnis bringen.
Zwar scheinen die Zeiten vorbei, in denen sich Abteilungsleiter und Personalchefs Subtilitäten und Schikanen einfallen ließen, um drohende und frischgebackene Mütter abzuschieben. Aber ganz sicher kann man nie sein ... Hinter geschlossenem Visier geht der Kampf der Wirtschaft gegen Geburten womöglich weiter. Die Hauptverbündeten der Wirtschaft gegen Kinder sind dabei die jungen Frauen und Männer selbst – als Träger kultureller Werte, nicht als »Wirtschaftssubjekte« im engeren Sinn: Indem sie, aufgrund von Bildung und Ausbildung, eigener Berufssicherheit und Berufskarriere den Wunsch nach Kindern immer mehr aufschieben und schließlich aufgeben (müssen), kommen sie in ihren eigenen Wunsch- und Wertbildern den Erwartungen der Wirtschaft entgegen und verwandeln sie zugleich in höchste und unanfechtbare Kulturwerte: Bildung für alle, Gleichberechtigung, Freiheit, Selbstbestimmung ...
Das Problem, das die Wirtschaft mit Kindern hat, besteht nicht nur darin, dass sie über ihre Mütter Macht ausüben. Der zweite Aspekt ist paradoxerweise, dass sie so jung erscheinen. Vor 50 Jahren gingen meine Altersgenossen nach Abschluss der Volksschule als 14-Jährige in die Lehre. Und oft machten sie diese genau dort, wo ihre Eltern auch waren: bei Krupp, Grundig oder im Handwerk. Die Wirtschaft nahm den positiven Effekt der sozialen Vererbung desselben Berufs im selben Unternehmen gern an, denn es war kostensparend und vertrauensbildend, wenn |59| nach den Eltern auch die Kinder und Kindeskinder im selben Unternehmen arbeiteten.
Aber die Zeiten haben sich geändert: Wenn junge Leute heute als Fachhochschüler in den Beruf eintreten, sind sie nicht 14, sondern 24 Jahre alt. So lange können die Unternehmen nicht warten, wenn sie im konjunkturellen Auf und Ab der Zeiten plötzlich Leute brauchen. Und ob es das Unternehmen, das dem Vater Arbeit gab, am gleichen Ort und in der gleichen Zusammensetzung überhaupt noch gibt, ist außerdem fraglich. Unternehmen müssen, um sich zu erhalten, flexibel sein. Das fordern sie auch von den Neueinzustellenden, die sie möglichst auf der Stelle brauchen. Man ist an ihnen erst interessiert, wenn sie zwar noch jung, aber schon erwachsen sind, durch Familie und Bildungsinstitutionen bestens präpariert, technisch und kommunikativ versiert, motiviert, kooperativ, belastbar und immer wieder flexibel ... Kommen sie von weit her, umso besser; denn das bedeutet, dass sie flexibel, mobil, ehrgeizig, voller Initiative sind. Und den Rückhalt einer Familie, den Unternehmen bei ihren Beschäftigten gerne sehen, gibt es auch dann, wenn die Familien, wie bei Migranten, weit weg sind.
Einen international offenen Arbeitsmarkt, wo sie nach Herzenslust aus vielen Bewerbern die passendsten auswählen kann: Das ist es, was sich die moderne, besonders international orientierte Wirtschaft wünscht – als Alternative zu Kindern, die in der eigenen Nation geboren werden, sich aber von Anfang an als kleine Machtlüstlinge ihren Müttern gegenüber (und somit gegenüber der Wirtschaft selbst, wohlgemerkt!) aufführen und der Wirtschaft zu spät zur Verfügung stehen. In Deutschland macht man dies sich deshalb so selten bewusst, weil hier der internationale Arbeitsmarkt immer noch mit den Altlasten anatolischer Gastarbeiterkinder beschwert ist, die mittlerweile auch deutsch und manchmal das Gegenteil dessen sind, was die Wirtschaft braucht. Nein, hierzulande geborene Kinder möchte die Wirtschaft nicht; türkischstämmige noch weniger als »volksdeutsche« oder solche, deren Familie immer schon hier war.
|60| Die Forderung, alle hier Heranwachsenden sollten einen Arbeitsplatz finden, ist sympathisch. Zu Recht wird Jahr für Jahr im neokorporatistischen Dreiklang von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Regierung darum gestritten und darüber verhandelt. Und meist wird die Lehrstellenlücke dann doch geschlossen – wen würde das im Sinne der jungen Leute nicht freuen! –, manchmal weiß man kurz darauf nicht, was aus ihr geworden ist, weil die Zeit den Schleier des öffentlichen Desinteresses über sie deckt; bis zum nächsten Jahr. Dass in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit, etwa im Vergleich zu Frankreich, so gering ist, ist ein Pluspunkt national-integrativer Politik. Die Forderung entspricht nationalen, nicht wirtschaftlichen Interessen. Erst auf einem
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