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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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zuständig. Zum zweiten wird eine der drei Säulen der Solidarität, nämlich die der Arbeitgeber mit ihren Beiträgen, aus der Trägerschaft entlassen. Um diese Entlastung geht es ja gerade. Durch die fallenden Lohnnebenkosten soll die Arbeit billiger und die Wirtschaft international konkurrenzfähiger werden. Zum dritten sind bei der privaten Versicherung die Kinder nicht automatisch mitversichert, und die Rentner bleiben ungeschoren. Jede Generation versichert sich sozusagen selbst. Der Solidarvertrag zwischen Generationen wird an dieser Stelle, durch die Privatversicherung, aufgehoben. Wohlgemerkt, nur was die Privatversicherung angeht. Denn für die gesetzliche Versicherung bleibt er erhalten.
    Eine andere Art von Solidarität wird durch die privaten Zusatzversicherungen sogar noch bestärkt. Denn um das private Versicherungssparen auf den Weg zu bringen, zahlt der Staat zu allen Sparverträgen hohe Zulagen und gibt Steuervorteile. Dies ist das Hauptmerkmal der sogenannten Riester-Renten. Sie sollen ein Signal setzen für das private Vorsorgesparen, das damit ganz privat eben nicht mehr ist, sondern eine staatlich vermittelte Solidarleistung, die der Steuerbürger insgesamt in Anspruch nehmen kann. Aus einem System, das so sehr auf Solidarleistungen eingestellt ist wie das deutsche, lassen sich die kollektiven Elemente nicht einfach vertreiben, sondern allenfalls verlagern.
    |82| Gegenwärtig geht es um eine Verlagerung von den Arbeitnehmern auf die Steuerbürger: Ein größerer Teil der Sozialleistungen soll über indirekte Steuern, besonders über die Mehrwertsteuer, finanziert werden, ein geringerer Teil durch die Arbeitnehmerbeiträge. Dadurch soll die Wirtschaft im internationalen Konkurrenzkampf entlastet werden; was letzten Endes, über deren Produktivität, Arbeitsplätze und Steuerkraft, doch wieder den sozialen Sicherungssystemen zugutekommt.
    Für die Geburtenrate bedeutet dies allerdings kein grünes Licht, im Gegenteil: Denn ob die arbeitende Bevölkerung über höhere Steuern oder über zusätzliche private Alters- und Krankenvorsorge zur Kasse gebeten wird – in beiden Fällen schmälert sich ihr Einkommen und erhöhen sich die Kosten für Kinder.
    Ausgleich oder Krieg der Generationen ?
    Sieht man von besonderen generationsspezifischen Belastungen ab, dann hat die mittlere Generation, wie bereits dargelegt, am schwersten zu tragen. Wenn nun unerwartete Belastungen hinzukommen – wie die Wiedervereinigung – und die zu versorgenden Älteren länger leben als früher, geraten die sozialen Sicherungssysteme unter Druck. Bisher haben sie ihm erstaunlich gut standgehalten. Das Verfahren war denkbar einfach: Beiträge und Steuern wurden erhöht, die gestiegenen Kosten der Alten und Kranken auf die mittleren Jahre umgelegt.
    Das geht jetzt nicht mehr. Nicht etwa, weil die arbeitende Bevölkerung, wie es oft suggeriert wird, aufbegehrt hätte. Vielmehr weil die Unternehmen glaubhaft machen können, dass sie sich in einer global offenen Wirtschaft höhere Löhne und Lohnnebenkosten nicht leisten können. Es zeigen sich hier die zwei Seiten der Globalisierung für die große Zahl der Menschen in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften: Als Konsumenten können wir importierte Waren von Südfrüchten bis Hightech-Produkten |83| so billig erwerben wie nie zuvor; als Arbeitnehmer, besonders der unteren und wenig qualifizierten Lohnklassen, werden unsere Arbeitsplätze in die noch billigeren Lohnländer von Tschechien bis China exportiert und/oder auch im Inland von polnischen, rumänischen, afrikanischen Billigarbeitskräften auskonkurriert. In dieser Lage können wir sowohl als Wirtschaftsbürger wie auch als Mitglieder von sozialen Sicherungssystemen den eigenen Unternehmen schwerlich höhere Löhne, Nebenkosten und Steuern abverlangen – es sei denn, wir wollten sie vertreiben und die Arbeitslosigkeit steigern.
    Das Sozialsystem hilft sich anders: Statt, wie bisher, Beiträge zu erhöhen, senkt es nun die Leistungen. Wer krank wird, wird durch Praxisgebühr, Zuzahlungen und verknappte Leistungen zur Kasse gebeten. Erst recht bei den Renten und Pensionen verschieben sich die Lasten von den Leistungsträgern auf die Leistungsempfänger: »Bei der jährlichen Rentenanpassung wird jetzt berücksichtigt, wie viele Rentner auf wie viele Beitragszahler kommen, mehr Rentner bedeuten geringeren Rentenzuwachs, mehr Beitragszahler machen höhere Renten möglich.« So die Bundesregierung im Jahr 2004. 1 Im

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