Weniger sind mehr
Klartext: Solange die Zahl der Beschäftigten nicht steigt, wohl aber die der Rentner, haben diese die Kosten des Generationsausgleichs zu tragen. Für die Arbeitslosen gilt Entsprechendes: Wenn sie mehr werden und länger arbeitslos sind, sollen Arbeitslosengeld und -hilfe gekürzt werden. Die Hartz-IV-Reformen weisen in diese Richtung. Dass sie zum Teil entgegengesetzte, also perverse Wirkungen haben, steht auf einem anderen Blatt. Seit dem Sommer 2006 zeigt sich aber auch, dass bereits ein kleinerer wirtschaftlicher Aufschwung mit mehr Beschäftigten und weniger Arbeitslosen die Arbeitslosigkeitsversicherung entlastet.
In der Zusammenschau zeigen sich bereits erste Erklärungen, warum das alarmistische Kampfgeschrei vom Krieg der Generationen und von der Aufkündigung des Generationenvertrags durch die jüngeren Leistungsträger reine Panikmache und von keiner |84| Kenntnis der tatsächlichen Steuerungs- und Ausgleichsmechanismen sozialer Systeme getrübt ist. Erstens: Die Leistungsträger von heute werden die Leistungsempfänger von morgen sein. Sie wissen es und sie spüren es, auch wenn sie es nicht thematisieren. Sie haben gottlob Besseres zu tun. Und dies kennzeichnet die Vitalität einer tatsächlich alternden Gesellschaft: dass sie ihr Altern im wirtschaftlichen, sozialversicherten, familialen und kulturellen Alltag und in der andauernden Abstimmung der verschiedenen Aufgabensphären aufeinander meistert, ohne viel Aufhebens darum zu machen.
Der intellektuelle Diskurs über das gesellschaftliche Altern ist dagegen abgehoben und kreist um sich selbst. Für die Systeme sozialer Sicherung heißt dies, dass ihre Leistungsträger, entgegen den publizistischen Panikmachern, Beitragserhöhungen schon allein deshalb in Kauf nehmen, weil sie sich älteren Verwandten verbunden fühlen und in deren Rolle als Empfänger hineinwachsen. Identifikatorische und interessenbestimmte Prozesse greifen so stillschweigend ineinander. Dies ist der sozialpsychologische Untergrund für die Akzeptanz von Beitragserhöhungen, mögen sie in der öffentlichen Diskussion noch so sehr verteufelt werden.
Es gibt, zweitens, auch einen ökonomischen Grund. Steigende Beiträge konnten bisher gezahlt werden, da sie durch steigende Arbeitsproduktivität gedeckt waren. Die Arbeit der hochproduktiven Leistungsträger wirft mehr ab, als sie selbst zur Erhaltung ihres Lebensstandards brauchen. Über diesen Mehrwert versorgen sie die Älteren und Kranken, ebenso wie die Arbeitslosen und jungen Gesellschaftsmitglieder mit. Es ist allerdings eine Tatsache, dass dieses Fundament, gerade in der deutschen und in der japanischen Wirtschaft besonders hoch gebaut, im Vergleich zu früheren Jahrzehnten nur noch magerere Steigerungsraten erlaubt. Mit 1 oder 2 Prozent erscheinen sie extrem niedrig gerade im Vergleich zu den 6 bis 10 Prozent, mit denen die Tigerstaaten und andere Nachzüglernationen der Industrialisierung aufwarten. Gleichwohl, es gibt auch im Westen noch Steigerungen, und zwar auf hohem bis |85| sehr hohem Niveau. Die mittlere Generation kann nun der älteren nicht mehr so viel abzugeben wie früher. Ja, hier wird, wie eben gezeigt, noch eine zusätzliche Altersselbstversorgung in Form von privaten Eigenversicherungen zugemutet.
Die Zumutungen treffen aber alle Generationen als Leistungsempfänger: die Alten, die Kranken und Arbeitslosen, auch die älteren Jugendlichen, die, als Bildungshoffnungen bisher verwöhnt und nach wie vor gepriesen, jetzt doch für ihr Studium selbst aufkommen sollen. Und sie treffen die Leistungsträger der mittleren Generation. Wie stark die eine oder andere Gruppe jeweils Federn lassen muss oder sollte, ist ein beliebtes öffentliches Diskussionsthema. Die Höhe der einzelnen Beträge, die dabei ermittelt und gegeneinander aufgerechnet werden, ist zwar wichtig – aber nicht an sich, sondern nur als Diskussionsfutter.
Damit sind wir bei dem entscheidenden dritten Punkt, der die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme und den Ausgleich der Generationen gewährleistet: Es ist der öffentliche Streit zwischen den Altersgruppen und ihren jeweiligen Vorsprechern, die je nach Beruf, sozialem Status, Herkunft, ideologischer Orientierung immer auch noch andere Interessen vertreten. Ihren hintergründigen Sinn bezieht die Auseinandersetzung einmal aus der Tatsache, dass die Streitenden sich an gemeinsame Regeln halten, eine gemeinsame Sprache sprechen und sich in einem gemeinsamen nationalen Rahmen auf eine
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