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Weniger sind mehr

Titel: Weniger sind mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Otto Hondrich
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etwas langsamer als die Löhne steigen werden. Der Freiburger Wirtschaftsprofessor Bernd Raffelhüschen fasst diese Anpassungsvorgänge zusammen: »Die Rente ist heute sicher – auf niedrigem Niveau.« 2
    |88| Mehr arbeiten
    Der einfachste Mechanismus, das Leistungsniveau der sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren, ja zu erhöhen, wurde bisher noch gar nicht betrachtet. Es ist dies die Lebensarbeitszeit. Für diejenigen, die vor 100 Jahren geboren wurden (und die beiden furchtbaren Weltkriege überlebten), betrug sie rund 50 Jahre. So lange arbeitete mein Vater. Als 14-Jähriger begann er eine Lehre, mit 65 ging er in Rente. In Abendkursen bereitete er sich auf die Meisterprüfung vor. Zeit seines Berufslebens hatte er mit der Wartung von Maschinen zu tun. Mit 74 Jahren starb er. Das war im 19. Jahrhundert, dem Höhepunkt des Industriezeitalters in Deutschland, ein normales Berufsleben. Es umfasste knapp 15 Jahre Kindheit und Jugend, davon acht in der Volksschule, 50 Arbeitsjahre und knapp 10 Jahre im Ruhestand. Zählt man Jugend und Altersjahre zusammen, dann kommt man auf 25. Das ist gerade die Hälfte der 50 Berufsjahre.
    Um ein Jahr seines nicht berufstätigen Lebens (vor- und nach-) finanzieren zu können, hat mein Vater also zwei Jahre lang gearbeitet. Er hat dabei allerdings auch für meine Mutter mitverdient, die, wie üblich, als Hausfrau kein eigenes Einkommen hatte. Ihre häusliche muss gleichsam der betrieblichen Arbeitszeit meines Vaters hinzugerechnet werden. Alleinverdiener war er nur auf dem Papier. Tatsächlich beschäftigte die Familie mindestens zwei Vollzeitarbeitskräfte mit mindestens je 48 Stunden pro Woche.
    Blicke ich nun zwei Generationen weiter auf meine eigenen Kinder, dann sehe ich, mit einer Mischung aus väterlichem Stolz und Groll, sie werden ihr Studium nun, hoffentlich, bald beendet haben – aber sie gehen auf die 30 zu! Rechnen wir, optimistisch, dass sich gut 30 Berufsjahre anschließen werden, gefolgt von einem nachberuflichen Alter, das in unserer Sicherheits- und Wohlstandgesellschaft auch noch einmal gut und gerne 30 Jahre währen mag, dann stehen in dieser kommenden Generation |89| nur 30 Berufsjahre 60 nicht berufstätigen Jahren gegenüber. Im Vergleich zur Generation ihrer Großeltern werden sich für die Generation meiner Kinder die Zahlenverhältnisse fast umgekehrt haben: Von dem, was sie in einem Berufsjahr erarbeiten, müssen sie zwei weitere Jahre ihres eigenen Lebens vor- und nachsorgen. Kein Wunder, dass nun die Berufstätigkeit der Frauen zur Regel geworden ist. Wer heute nur noch ein Drittel seiner Lebenszeit arbeitet – und nicht mehr, wie in der Generation meines Vaters, zwei Drittel – und dazu als Alleinverdiener noch Frau und Kinder mitversorgen sollte, könnte dies kaum schaffen, es sei denn als Großverdiener.
    Fast sieht es so aus, als hätten es die Deutschen in den vergangenen Jahrzehnten darauf angelegt, die Lebensarbeitszeit zu verkürzen – und damit ohne Sinn und Verstand ihren sozialen Sicherungssystemen die finanzielle Grundlage zu entziehen. Nicht genug junge Leute konnten vom Arbeitsleben abgehalten und in die Universitäten gelenkt werden, wo sie dann gar nicht lange genug ihrem Erst-, Zweit- oder Drittstudium frönen konnten. Das alles zum Nulltarif. Zwar platzen die Universitäten aus allen Nähten und forderten – um Legitimationsformeln wie »Bildung ist Bürgerrecht« und »Bildung ist unsere Zukunft« nie verlegen – Steuermittel ohne Ende. Aber einem Qualitätswettbewerb entzogen sie sich ebenso wie die Massen der Studierenden, die es für selbstverständlich hielten, für unbeschränkte Zeit und ohne Studiengebühren studieren zu sollen – unter Anrechnung der Studienzeiten auf ihre später zu erwartenden Renten- und Pensionsbezüge, so als ob sie nicht umsonst studiert, sondern während der Studienzeit ein Berufseinkommen erzielt und davon Beiträge in die Rentenkassen gezahlt hätten.
    Auf der anderen Seite überboten sich Sozialpolitiker, Gewerkschaften und staatliche wie private Arbeitgeber darin, Frühverrentungsprogramme und Vorruhestandsregelungen auszuklügeln, um Arbeitnehmer – seien sie nun in sicherer Beamtenstellung, begehrte Facharbeiter oder Arbeitslose – möglichst schnell aus dem |90| Berufsleben herauszukomplimentieren. Für die Sozialkassen eine doppelte Belastung, denn sie verloren vorzeitig rüstige Beitragszahler und »gewannen«, ebenso vorzeitig, Bezieher von Renten und Pensionen.
    Nun soll das

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