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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Wie
eine abstrakte Skulptur: provokant, geradezu gedankenanregend. Weißer Marmor,
die Bruchstellen und Risse die dunkle Äderung. Vielleicht sollten Hy und ich
das Wrack auf einem Sockel im Entree des Hauses aufstellen, das auf unserem
Touchstone-Grundstück entstehen würde, sobald die Schlechtwetterperiode vorbei
war und die Baufirma loslegen konnte.
    Und du, McCone, hast eine
seltsame Art von Humor.
    Sagt man nicht: Lach, damit du
nicht weinen mußt.
    Da merkte ich, daß ich bereits
weinte: Tränen rannen mir aus den Augenwinkeln. Das windzerzauste Haar klebte
mir an den feuchten Wangen. Meine Schultern und meine Brust bebten.
    Was für ein elendes Fiasko!
D’Silva wurde gerade von den Traumaspezialisten in Fort Braggs operiert; sie
hatte zahlreiche, wenn auch nicht lebensgefährliche Verletzungen davongetragen.
Die Citabria würde nie wieder fliegen. Und an mir war es jetzt, Hy diese
Tatsache beizubringen.
    Nur, daß ich keine Ahnung
hatte, wo er war. Als ich vor einer Stunde die RKI-Zentrale angerufen hatte,
hatte mir die Sekretärin erklärt, ihres Wissens sei er gestern von Sao Paulo
nach San Francisco abgeflogen. Aber er sei doch in Argentinien gewesen, hatte
ich widersprochen, nicht in Brasilien. Nein, hatte sie erwidert, sie sei sich
ganz sicher, daß Mr. Renshaw von Brasilien gesprochen habe. Ob Mr. Renshaw da
sei? Leider nein, übers Wochenende sei niemand da.
    RKI, der Laden, wo die
168-Stunden-Woche normal war, hatte ausgerechnet diesen Zeitpunkt für eine
kollektive Erholungspause gewählt.
    Hinter mir lief der
Flugplatzbetrieb ganz normal. Da die Citabria vom Asphalt auf den Grasstreifen
zwischen Landebahn und Rollweg geschliddert war, war die Zwo-neun frei.
Maschinen landeten und starteten, und die Insassen guckten eingeschüchtert zu
dem Wrack hinüber. Sobald die Unfallermittler der Flugbehörde damit fertig
waren, würde es weggeschafft werden, und dann würde es sein, als hätte es
dieses Desaster nie gegeben.
    Nur in meinem Kopf würde es für
den Rest meines Lebens immer wieder ablaufen. Und ich würde die kleine weiße
Maschine nie wieder fliegen. Würde nie wieder auf dem hinteren Sitz sitzen,
während Hy flog. Es gab mir einen Stich, als ich an unseren ersten gemeinsamen
Flug dachte, an die Angst, die ich damals gehabt hatte. Ich erinnerte mich, wie
er das erstemal in einen Präzisionsspin gegangen war und wie ich, in eben
diesem Moment, beschlossen hatte, selbst fliegen zu lernen.
    Wie viele Stunden hatte ich in
der Citabria absolviert? Wie viele Starts und Landungen —
    »Nicht weinen, McCone. Ist nur
ein Flugzeug.«
    Beim Klang seiner Stimme fuhr
ich herum. »Ripinsky!«
    Er breitete die Arme aus.
    Ich rannte zu ihm, vergrub mich
an seiner Brust. Meine Freude und Erleichterung waren von kurzer Dauer, wurden
von einer schmerzhaften Aufwallung schlechten Gewissens erstickt. Ich heulte
erst recht los.
    »Psch-scht.« Er strich mir über
den Hinterkopf, zog mich enger an sich.
    »Wo warst du?« fragte ich und
haßte mich für den klagenden Unterton.
    »Geiselnahme in Sao Paulo. Ein
Topmanager eines unserer großen Multis dort unten wurde gekidnappt. Zum Glück
war ich nicht weit weg und konnte die Sache gleich übernehmen.«
    »Ist es gutgegangen?« Hy war
RKIs bester Mann für solche Verhandlungen, aber selbst unter geschicktester
Regie gingen diese Krisensituationen oft genug schlimm aus — für alle
Beteiligten.
    »Ja, aber es hat lange
gedauert. Zu lange. Ich erzähl dir später alles genauer.«
    Ich trat einen Schritt zurück,
wischte mir die Tränen weg und musterte ihn. Sein Kinn war stopplig, und in
seinen Augen stand Erschöpfung. »Gage hat mich gestern nachmittag angerufen.«
    »Ich weiß.« Seine Lippen
zuckten. »Was dir alles durch den Kopf gegangen sein muß, als sich keiner von
uns gemeldet hat... Ich wollte nur meinen Flug kriegen, ein bißchen schlafen
und dann nichts wie nach Hause, zu dir. Gage hat mir gesagt, es hätte
geklungen, als seist du gerade auf dem Sprung irgendwohin, also habe ich ihn
gebeten, dich wissen zu lassen, wann ich ankomme. Aber dann kam ihm was
dazwischen, und er hat nicht mehr dran gedacht, dich anzurufen. Klassischer Fall
von verschwitzt.«
    Oder war es ein absichtliches
Versehen von Gage gewesen? Obwohl wir in den letzten Jahren einen fragilen
Waffenstillstand geschlossen hatten, war unser Verhältnis problematisch. Ich
hatte ihn einmal in einem beruflichen Zusammenhang ausgestochen, und das hatte
er nie vergessen.
    »Als ich wieder hier war«,

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