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Wenn alle anderen schlafen

Wenn alle anderen schlafen

Titel: Wenn alle anderen schlafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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einen Deal herauszuholen, und er hatte es auch getan, aber das hieß nicht,
daß er viel von seinem Klienten halten mußte.
    Gott, war ich froh, daß ich nie
den Drang verspürt hatte, Anwältin zu werden. Ich konnte wirklich nicht
verstehen, wie nette Menschen wie Anne-Marie und Hank langfristig diese
Tätigkeit ausüben konnten, ohne total abzustumpfen. Oder vielleicht verstand
ich es ja doch. Vielleicht waren es ja Situationen wie diese, die sie aufrecht
hielten.
    Sie handelten eine Vereinbarung
aus und legten Datum und Zeitpunkt für die Unterzeichnung durch alle
Beteiligten fest. Dann erhob sich Symons und winkte seinem Klienten, ihm zu
folgen. Larsen kam dem nach, machte dann aber auf halber Strecke einen
Abstecher und postierte sich drohend vor Ted und Neal, die nebeneinandersaßen.
    Er sagte: »Hat sich nichts
geändert. Ihr seid und bleibt perverse Schweine.«
    Sie wechselten einen Blick und
wurden, ohne sich zu rühren, zu einer Einheit, errichteten eine unsichtbare
Wand zwischen sich und diesem Haß. Beide hatten mir erzählt, sie hätten
Probleme, seit Neal hinter Teds Täuschungsmanöver gekommen war, seien aber
entschlossen, sie zu bearbeiten. Jetzt wußte ich: Die Zeit und der Wille,
zueinanderzuhalten, würden ihnen darüber hinweghelfen. Larsen spürte, daß er
nichts ausrichten konnte. Sein Gesicht rötete sich, und er sagte: »Solche wie
euch kenne ich. Onkel Nick, der netteste Mann in der ganzen Nachbarschaft, hat
die Kinder gehütet, damit ihre Eltern mal weg konnten. Hat sie immer auf den
Arm geboxt und Kumpel genannt — wie du, Osborn.«
    Symons sagte: »Okay, Bud,
lassen Sie’s gut sein.«
    Larsen ignorierte ihn. »Der
gute alte Onkel Nick — das war nicht alles, was er mit ihnen gemacht hat,
drunten in seinem Keller, während seine Frau gedacht hat, die kleinen Jungs
helfen ihm in seiner Holzwerkstatt. Und hinterher hat er gesagt, wehe, sie
erzählen jemand was, und dann hat er getan, als wenn nichts gewesen wäre.«
    Jetzt wechselten wir alle
Blicke. Larsen hatte zwar von »den kleinen Jungs« gesprochen, aber implizit
hatte er uns den Ursprung seiner Wut offenbart.
    Er setzte hinzu: »Dieser ganze
Quatsch von wegen genetischen Anlagen und von euren verdammten Rechten — alles
Quatsch. Ihr seid krank, darauf läuft’s doch raus.«
    Ted erhob sich langsam und sah
ihm direkt in die Augen. »Nein, Bud«, sagte er, »Sie irren sich. Onkel Nick war
krank; er hat sich an Kindern vergriffen. Solche Leute nennt man tatsächlich
pervers. Neal und ich sind gesunde Männer, die sich lieben. Das nennt man
schwul.«
    Larsen plinkerte, schluckte.
Knurrte dann, an seinen Anwalt gerichtet: »Bringen Sie mich raus aus diesem
Loch.«
    Wir sahen ihnen schweigend
nach.
     
    Eine halbe Stunde später saß
ich mit meiner Belegschaft im Konferenzraum am Tisch und fand das Unbehagen,
das ich verspürte, in ihren Augen gespiegelt.
    Jetzt galt es, das
anzusprechen, was uns alle beschäftigte.
    »Was ist mit uns los?« fragte
ich.
    Kopfschütteln. Achselzucken.
    »Wir waren doch ein Team«,
sagte ich. »Wißt ihr noch, letzten Herbst? Als wir alle zusammen diesen
Seabrook-Fall gelöst haben? Warum war das diesmal nicht so?«
    Rae sagte: »Ted hatte kein
Vertrauen zu uns. Und du hast uns auch keine Chance gegeben, Shar.«
    »Aber warum?«
    »Vielleicht sind wir alle
eigensinniger, als uns guttut.«
    »Und was tun wir in Zukunft
dagegen?«
    Ted sagte: »Uns stärker
bemühen«, und Neal nickte.
    »Na ja, ihr zwei müßtet darin
ja jetzt schon Erfahrung haben«, erklärte ich.
    »Uns stärker bemühen«,
wiederholte Rae, »und immer dran denken, daß da draußen zu viel... Übles läuft,
um es allein in den Griff zu kriegen.«
    »Und«, sagte Charlotte, »immer
dran denken, daß wir das Glück haben, einander vertrauen zu können.«
    »Und«, setzte Mick hinzu,
»immer dran denken, daß auch die Chefin sich manchmal wie ein Hornochse
benehmen kann.«
    »Und«, vollendete ich, »immer
dran denken, daß zumindest einer von uns sich manchmal wie ein neunmalkluger
Hornochse benehmen kann. Und jetzt verlegen wir die Sitzung ins Miranda’s —
Burger und Bier auf meine Rechnung.«
     
     
     

Freitag
     
    Halb aufrecht in ihrem
Krankenhausbett liegend, erschien mir Lee D’Silva kleiner als die Frau, mit der
ich letzten Monat das Bewerbungsgespräch geführt hatte. Ihr honigblondes Haar
war strähnig, beide Augen von dunklen Blutergüssen umgeben, und quer über ihrer
Nase klebte ein Pflaster. Ihr rechter Arm war in

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