Wenn auch nur fuer einen Tag
was gibt es jetzt Gutes zu essen? Es duftet ja herrlich!«
»Hähnchenschenkel in Rotweinsoße«, verkündet Carla stolz, dann zieht sie mich zur Seite.
»Und?«, fragt sie leise.
Ich schüttle den Kopf. »Es ging nicht«, zische ich gereizt. »Ich wollte, aber es kam was dazwischen. Morgen.«
Carla seufzt. »Okay. Schon gut, es ist dein Geburtstag. Jetzt feiern wir erst mal.«
Wir essen, trinken teuren Rotwein, den Alex aus dem Keller seiner Eltern geklaut hat, und spielen Scharade, was immer komischer wird, je mehr Gläser wir intus haben. Gerade ist Lukas dran und fuchtelt wie wild mit den Armen in der Luft herum.
»Krake«, rufe ich, »Krakenmann, äh … Edward mit den Scheren–«
Wir brechen ab, als es an der Tür klingelt.
»Wer ist das denn? Carla, bitte sag nicht, du hast noch irgendeinen Überraschungsgast eingeladen.«
Sie schüttelt stirnrunzelnd den Kopf. »Ich geh mal nachsehen.«
Ich stehe auf und strecke mich stöhnend. »Oh Mann, seid ihr auch noch so pappsatt wie ich? Ich glaube, ich brauche die ganz nächste Woche nichts mehr zu essen –«
Carlas spitzer Aufschrei lässt uns alle alarmiert aufhorchen. Eine Zeit lang passiert nichts. Dann sind Schritte zu hören, die sich der Küche nähern. Die Tür geht auf.
»Alles Gute, meine Kleine!«
»Papa!« Ich starre meinen Vater an, der auf der Schwelle steht. Hager und unrasiert, ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen und einen kleinen, halb verwelkten Blumenstrauß in der Hand. Carla steht mit geweiteten Augen hinter ihm. Alle Farbe ist aus ihrem Gesicht gewichen. Ich friere, mir wird schwindlig, mein Kopf dröhnt. Ich kann nichts tun, außer dazustehen und zu hoffen, dass mich meine Füße halten. Meine Zehen krallen sich am Boden fest.
»Was willst du hier?«, presse ich hervor.
»Ich weiß, ich komme spät. Viel zu spät, nach allem, was passiert ist.« Seine Worte kommen langsam und bemüht. Jedes einzelne scheint ihn Kraft zu kosten. Ich merke, dass er getrunken hat.
Bitte, flehe ich stumm, bitte, sprich nicht weiter. Halt einfach deinen Mund, so wie in den letzten acht Jahren. Aber wie in Zeitlupe erkenne ich, wie mein Vater weiter seine Lippen bewegt. Die Sätze kommen erst mit Verzögerung bei mir an.
»Ich wollte mich schon längst bei dir melden, aber … die Nachricht von Florians Tod hat mich beinahe um den Verstand gebracht. Ich meine … ermordet . Mein Junge auf offener Straße ermordet. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch. Deshalb konnte ich nicht zu seiner Beerdigung kommen. Ich schäme mich so … Es tut mir schrecklich leid, mein Kind.«
Lukas
Niemand sagt etwas. Die Luft scheint zu vibrieren. Jana starrt den Mann an, den sie Papa genannt hat. Sie kommt mir fremd vor in diesem Moment. Weiß und beinahe durchsichtig. Ihre Augen sind vor Entsetzen geweitet. Sie wirken leblos.
Die Worte ihres Vaters wirbeln in meinem Kopf umher und finden einfach keinen Zusammenhang. Florian, ihr Bruder, tot? Ermordet? Das alles ergibt absolut keinen Sinn.
»Ich schätze, wir lassen euch beide jetzt lieber allein«, ergreift Alex als Erster wieder das Wort. Seine Worte durchbrechen die Stille wie ein Dröhnen, obwohl sie nur leise hingenuschelt sind. »Carla, Lukas, los, kommt mit.«
Ich folge den beiden mechanisch. Der Boden unter meinen Füßen schwankt – nicht vom Rotwein, sondern von dem Durcheinander in meinem Kopf, das mir das Gleichgewicht raubt.
»Was geht hier bloß ab?«, bringe ich endlich hervor, als wir draußen an der frischen Luft sind und uns auf eine Bank fallen lassen.
»Carla, du musst es ihm jetzt sagen.« Alex wirft ihr einen vielsagenden Blick zu.
»Was? Was muss sie mir sagen? Carla, was ist los? Ist dieser irre Typ echt Janas Vater? Und … und was soll mit ihrem Bruder passiert sein? Er meinte doch sicher jemand anderen, oder? Einen anderen Florian! Oder ist er einfach bloß verrückt? Jana hat da mal so etwas erwähnt …«
Carla schielt verstohlen zu mir rüber. Sie scheint ebenfalls völlig durch den Wind zu sein und sieht aus wie ausgekotzt. Schließlich schüttelt sie den Kopf. »Nein, es stimmt«, sagt sie erschöpft. »Florian ist tot. Jana hätte es dir längst erzählen müssen.« Ihre sonst so feste, selbstsichere Stimme ist brüchig. »Sei nicht böse auf sie. Sie war so glücklich mit dir und wollte nur deshalb nicht über Flos Tod sprechen, weil … Keine Ahnung, wahrscheinlich, weil sie Angst hatte, es würde etwas zwischen euch kaputt machen. Weil sie immer noch nicht über die ganze
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