Wenn auch nur fuer einen Tag
nur noch. Weil Alberti es ihm befohlen hatte. Weil er sich nicht gegen den Boss auflehnte.
Mein Fuß schnellte ganz von selbst nach vorne und versetzte ihm einen Tritt in die Magengegend, dann rannte ich. Ich rannte an der Leiche des Mannes vorbei, trat in sein Blut, rannte, so schnell ich konnte. Hinter mir hörte ich Paolo würgen und husten. Ich merkte, dass ich noch nicht fit war, wusste, dass ich mich noch immer in seiner Schusslinie befand. Er würde wieder aufstehen. Er war zäh. Und er hatte einen Auftrag zu erledigen.
»Du Scheißidiot! Du … bist selbst schuld!«
Er drückte ab. Zweimal hintereinander. Ich hörte die Schüsse noch ganz deutlich, bevor ein reißender Schmerz durch meinen Körper fuhr und mein Bewusstsein von ihm trennte. Ich flog … dann wurde alles um mich herum schwarz.
Ich wachte erst Wochen später auf. Sie hatten mich in ein künstliches Koma versetzt. Eine der Kugeln hatte meinen Brustkorb erwischt – durch meine rechte Schulter hindurch. Ich war außer Lebensgefahr. Trotzdem durfte ich nicht nach Hause. Aber ins Gefängnis steckten sie mich auch nicht. Ich war zu kostbar für sie. Stattdessen wurde ich befragt. Immer und immer wieder. Die Ermittler quetschten alle Infos, alle Namen aus mir heraus, bis mein Hirn komplett leer war.
Sie waren nett zu mir. Trotz der Dinge, die passiert waren. Endlich erfuhr ich mehr über den Typen, dem ich vetraut, den ich bewundert hatte. Der Mann, den ich unter dem Namen Fernando Alberti kannte, wurde als brandgefährlich eingestuft. Anscheinend hatte er nicht nur eine Leiche im Keller. Man führte diverse Vergehen der vergangenen zwei Jahre auf ihn zurück und vermutete, dass er eng mit der Mafia zusammenarbeitete. Ein Neuling im organisierten Verbrechen, der bisher Aufträge ausgeführt und sich mit der Rosa Nera offensichtlich ein eigenes Geschäftsfeld hatte aufbauen wollen. Abgesehen von seinen Drogengeschäften wurde sein Name mit illegalem Glücksspiel und Menschenhandel in Verbindung gebracht. Alberti galt als extrem brutal und skrupellos, auf sein Konto gingen offenbar mehrere Morde.
Die Ermittler zogen sich zurück, berieten sich und beschlossen, mich aus Sicherheitsgründen ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Ich selbst wurde nicht gefragt, man erklärte mir lediglich, wie es weitergehen sollte: Ich würde Rom verlassen. Heimlich und ohne Aufsehen. Ich würde in ein Flugzeug nach Hamburg steigen und von jetzt an Lukas heißen. Lukas Richter.
Matteo Orsini würde für den Rest der Welt weiter im Koma liegen und – falls es schlecht lief – bis zum Rest seines Lebens.
Jana
In seinem Fenster brennt kein Licht. Trotzdem klingle ich an Lukas’ Tür. Ich weiß nicht, zum wievielten Mal in den letzten Tagen. Ich habe aufgehört zu zählen. Das ewige Warten auf seinen Rückruf, die verzweifelten Versuche, ihn zu erreichen, haben mich so fertiggemacht, dass ich noch nicht einmal mehr losweinen kann, als er mir wieder nicht öffnet.
Sein Handy ist seit sechs Tagen ausgeschaltet. Auf meine zahllosen SMS antwortet er nicht. Also stecke ich jetzt meinen Brief in den Schlitz mit seinem Namensschild. Meine letzte Chance. Ich kenne die Zeilen auswendig:
Lukas, bitte verzeih mir! Ich weiß, du bist enttäuscht von mir und wütend, dass ich dich belogen habe. Ich verstehe dich. Carla musste dir die Wahrheit sagen, dabei wäre es meine Aufgabe gewesen. Schon vor Monaten. Ich wollte es ja auch, aber ich konnte nicht. Dir von Flos Tod zu erzählen, wäre mir wie ein Verrat an ihm vorgekommen, fast so, als würde ich ihn ein weiteres Mal sterben lassen. Du warst der Einzige, bei dem er noch lebendig war. Ich weiß, das klingt verrückt. Vielleicht bin ich verrückt. Aber eines weiß ich ganz genau: Ich will dich nicht verlieren. Ich brauche dich. Ich liebe dich! Das alles tut mir so schrecklich leid!
Jana
Mein Blick schweift zum Parkplatz. Lukas’ Wagen steht noch immer an derselben Stelle wie gestern und die Tage zuvor. »Suchst du jemanden? Kann ich dir behilflich sein?«
Ich fahre herum. Ein junger Mann steht vor mir. Nicht besonders groß, leicht untersetzt, dunkle Haare und Augen. Vielleicht Anfang oder Mitte zwanzig. Er lächelt und mustert mich interessiert.
»Nein, nein, ich wollte nur zu … meinem Freund.«
»Und er hat dich versetzt? Der spinnt ja wohl! Also, wenn du meine Freundin wärst …«
Ich erwidere nichts. Ich habe keine Lust auf Small Talk und erst recht nicht auf Flirten. Also nicke ich dem Typ nur kurz zu, dann
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