Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
trüben …“
Sie hielt kurz inne. „Hexen sind Kinder meines Geistes. Doch weder sie, noch ich, sind der Dunkelheit – dem Teufel – verfallen oder gar hörig und gefügig.“ Eine äußerst präsente und machtvolle Ausstrahlung ging von der großen Frau aus, die nicht gänzlich sorglos an Gwen vorüberging.
Nach all den Offenbarungen, die sie in der letzten Zeit bereits hatte schlucken müssen, hatte sie nicht geglaubt, dass es noch dicker kommen konnte. Doch vor ihr stand der lebende Beweis: Eine Göttin – Hexengöttin – die sie eben rückwärts in die Vergangenheit versetzt und sie in den Körper, in das Leben, einer Hexe der damaligen Zeit verpflanzt hatte und ihr überdies die Existenz des Teufels vor die Füße warf.
Wenn nicht alles so verdammt Angst einflößend und ernst gewesen wäre, hätte sie die ganzen Informationen womöglich überaus interessant gefunden. Doch da sie selbst mittendrin steckte und ihr Leben deswegen den Bach hinunterging, verlor sich das euphorische Interesse dran. Stattdessen versuchte sie nun angestrengt weiterzukämpfen, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen.
Mit kräftiger Stimme frage sie: „Warum bin ich hier? Warum hast du mich in Liliths Leben geschickt? Warum erzählst du mir das alles?“
„Weil es wichtig für dich ist, Gwen. Aus mehreren Gründen. Auch, wenn dir aktuell vielleicht nur einer davon bewusst oder wichtig sein könnte.“
„Und der wäre?“
„Nikolaj.“
ZWANZIG
Gwens Brust zog sich eng zusammen. Sein Name, der Gedanke an ihn, brannte wie Eiseskälte in ihrer Brust. All die Geschehnisse hatten ihn für kurze Zeit aus ihrem Sinn vertrieben. Nun war er zurückgekehrt und präsent wie zuvor.
„Ja … ich weiß, dass es wehtut. Ich weiß, was in dir vorgeht“, sagte Hekate mit mitfühlender Stimme.
„Ach ja? Woher denn?“ Obwohl sie nicht unhöflich sein wollte, waren ihre Worte getränkt von Trotz und Argwohn.
Der durchdringende Blick der Göttin verleitete sie jedoch schnell zu einem Nachsatz. „Es … tut mir leid. Ich wollte nicht …“
Die Hexengöttin nickte ab. „Es gibt keinen Grund dich zu entschuldigen. Es ist verständlich, dass du Fragen hast. Es ist verständlich, dass du durcheinander bist. Du hast viel durchgemacht. Du hattest – und hast – mit vielem zu kämpfen. Das ist einer der Gründe, warum ich dich hergebracht habe.“
Verwirrt sah Gwen in das Gesicht ihrer Gegenüber. „Was soll das heißen?“
„Heute, jetzt und hier, bist du Lilith“.
Die Worte hingen in der Luft und verpassten ihr eine Ganzkörpergänsehaut.
„Du stehst an dem Punkt, an dem auch Lilith einst stand. An dem Punkt, der eine Entscheidung von dir fordert: Möchtest du, dass die Geschehnisse, dass das Außen die Macht über dein Inneres, über dich, erlangt und dich in der Hand hat? Oder möchtest du selbst es sein, die über dein Inneres, über dich, verfügt?“
Gwen blickte ins Leere und ließ die Frage in sich aufgehen gleich einem Ballon, der sich zu voller Größe ausdehnt. „Wie sollte ich Einfluss darauf haben, was passiert? Was das Außen mit mir macht? Ich habe keinen Einfluss darauf, was geschieht.“
Hekate erwiderte mit ruhiger Stimme: „Worauf ich hinaus will, ist weniger das Außen zu formen, wie man es gerne hätte, denn mehr, wie du auf das Außen reagierst, das sich dir präsentiert. Es kommt darauf an, wie du damit umgehst. Was du daraus machst.“
Erneut musste Gwen den Sinn der Worte in sich aufkeimen lassen. Es war äußerst schwer sich glauben zu machen, dass sie selbst schuld an ihrer Verfassung sein sollte. Nicht das Außen. Nicht das, was ihr widerfahren war. Aber sie hatte sich zu wehren versucht. Sie hatte gekämpft. Jedoch hatte es ihr recht wenig geholfen. Sie konnte schließlich niemand anderen ändern, konnte Nikolaj nicht dazu bringen, wieder er selbst zu sein.
Sie sah Hekate ins Gesicht. „Aber … was, wenn die Dunkelheit eines anderen das eigene Licht zu zerstören droht? Was dann? Wie soll man damit umgehen? Wenn einem … der andere überdies … wichtig ist?“
Hekate lächelte sanft. „Wenn Dunkelheit dich zu überwältigen droht, nützt es nichts Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Das wäre, als würdest du Feuer mit Feuer bekämpfen. Am Ende kommt eine noch größere und mächtigere Stichflamme heraus.“
„Soll das heißen, dass man sich nicht wehren soll? Dass man alles einfach … hinnehmen und aushalten muss?“, fragte sie irritiert.
„Nein, das ist damit
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