Wenn Blau im Schwarz ertrinkt (Teil 1)
ihre Stirn, ehe die Hexengöttin von ihr wegtrat.
Ein plötzlicher taumelnder Schwindel überkam Gwen. Alles um sie herum verlor an Schärfe und drohte ihr zu entgleiten. Aus weiter Ferne echote Hekates Stimme:
„Halte dich an dein Herz … Halte dich an dein Herz …“
Dann war alles still und entschwunden.
EINUNDZWANIZIG
Gwen erwachte. Ein pochender Schmerz hielt ihren ganzen Körper in den Klauen und ließ sie laut aufstöhnen.
„Hey! Die Kleine rührt sich endlich! Los, sagt mal einer dem Boss bescheid. Er wollte sofort informiert werden, wenn sie aufwacht“, drang dumpf eine Männerstimme an ihr Ohr.
Mühsam und schmerztrunken versuchte sie ihre Augen ein Stück weit aufzuschlagen, um zu sehen, wer da gesprochen hatte.
Verschwommenes und trübes Licht drang an ihre Netzhaut. Abermals mühte sie ihre Augen ein weiteres Stück auf und konnte schließlich einen neben ihr sitzenden Mann in ihrem Blickfeld einfangen. Sie kannte ihn nicht – hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Er hatte dunkles Haar, war breit gebaut, saß zurückgelehnt in einem Sessel, ein Bein schräg angewinkelt und über das andere gelegt, und spielte mit einem Messer.
Ruckartig stieß sie nach oben – und wurde sofort mit einer brennenden Welle von Schmerz bestraft. „Ahhhh …!!“ Sie sog heftig die Luft ein.
„Mach langsam … wenn du mir verreckst, bevor der Boss da ist, hab ich ein Problem. Leg dich einfach wieder hin und halt still.“ Zwei Männerpranken drückten sie, an den Armen gefasst, der Länge nach zurück aufs Sofa.
Es trieb ihr die Tränen in die Augen. „Das tut weh …! Wo bin ich? Was ist passiert? Wer sind Sie?“
„Mach mal halblang. Wir spielen hier kein Frag-dich-reich-Spiel. Wenn hier einer Fragen stellt, ist es der Boss. Also halt die Luft an.“
Sie ließ nicht locker. „Wo bin ich?“ Die Erinnerung an ihre letzten bewussten Erlebnisse ratterten durch ihren Kopf:
Die Beerdigung. Céstine. Der seltsame Wald. Nicks grauenhaftes Geständnis. Boden, der unter ihren Füßen wegbricht. Wasser und Schilf. Ihr rothaariges Spiegelbild. Scheiterhaufen. Feuer. Die große und beeindruckende Hexengöttin. Dunkelheit. Satan. Adoption.
Sie hatte keinen blassen Schimmer, wie spät es war. Wusste nicht, welches Datum, welcher Tag oder welche Uhrzeit war. Ebenso wenig wie sie eine Ahnung hatte, wo sie war und warum ihr ganzer Körper schmerzte, als hätte man sie mit einem Hammer verkloppt. „Ich will sof …“
Jemand unterbrach sie. „Bitte was …? Kannst du es jetzt endlich sagen? Was du willst? Nun … ich befürchte, das Zeitfenster dafür ist mittlerweile verstrichen.“
Sie zuckte zusammen. Merkas inzwischen so vertraute und gleichsam verhasste Stimme verpasste ihr postwendend eine Gänsehaut. Sie schluckte den Schauder hinunter und blaffte ihn an: „Ich will wissen, wo ich bin, wie ich hierhergekommen bin, und warum mir alles wehtut. Auf der Stelle!“ Zwar verspürte sie nicht weniger Angst, als bei ihren vorherigen Begegnungen, dennoch war da ein seltsamer Anflug von Mut und Trotz in ihr, der sie zu dieser bissigen Aussage befähigte. Möglicherweise die ersten Anzeichen der Kapitulation ihres gesunden Menschenverstands, überlegte sie. Aber was machte noch ein bisschen mehr Mist auf dem bereits bestehenden Haufen aus? Sie steckte bereits bis zum Hals darin. Recht viel tiefer ging gar nicht mehr.
Merkas nickte dem Messermann knapp zu, sodass er sich nach draußen trollte. Als die Tür ins Schloss gefallen war, setzte er sich in den Sessel neben ihr, musterte sie eindringlich und sagte schließlich: „Ich gebe zu … ich bin überrascht.“
Ein Grinsen zog sich über seine roten Lippen. „Zum zweiten Mal. Du scheinst wirklich ein spezielles Talent dafür zu haben. Damit wirst du auf gewisse Weise immer interessanter für mich." Seine Augen funkelten.
„Aber natürlich kann ich dir nicht die ganzen Lorbeeren zuschreiben. Schließlich bist du nicht allein hierhergekommen, sondern hast einen … Begleiter gehabt, der die Anreise organisiert hat. Dementsprechend erstaunt war ich, als meine Männer dich in mein Arbeitszimmer geschleppt haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, dich hier zu Gesicht zu bekommen. Ganz ohne ein bewusstes Zutun meinerseits. Scheinbar hab ich mich ein bisschen verschätzt, was Nikolajs Zuneigung für dich angeht … Wenn er dich ohne Bedenken hierherbringt … Ich erinnere mich gut, dass er immer einen gewissen Anflug von Skrupel verspürt
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