Wenn das der Führer wüßte
Aussehen eines mit einem Vogel Greif gekreuzten Rüsseltieres verliehen. Nur Ko ging leer aus. In dem hallenartig gewölbten Bunkersitzraum, der anbetrachts der Örtlichkeit fast bequem eingerichtet war – Höllriegl gewahrte mit freudiger Aufwallung, daß man vergessen hatte, das große Hitler-Bild zu entfernen –, sahen sie sich einer geisterhaften Gesellschaft gegenüber. Manche probierten die Vogelmasken und gackerten dabei oder schnüffelten laut durch den Rüssel, andere wieder bewunderten sich in ihren aschfarbenen Anzügen, die bei den Damen auf Taille gearbeitet waren. Mit Geigerzählern ausgerüstete und bewaffnete Luftschutzhelfer eilten geschäftig hin und her. Das Licht war auch hier stark gedrosselt worden, doch hätte man zur Not lesen können. Im allgemeinen unterhielt man sich wispernd. Von Zeit zu Zeit gab der Luftschutz irgendwelche Befehle durch, die sich auf das Hilfspersonal und die Leibeigenen bezogen.
Höllriegl war der Schock von vorhin dermaßen in die Glieder gefahren, daß er, vom Gefühl absoluter Wurstigkeit durchdrungen, alles um sich her nur ganz mechanisch aufnahm. Anselma, die neben ihm Platz genommen hatte und so tat, als wäre nichts vorgefallen, übersah er geflissentlich; bei dem Gedanken an ihren Körper, ihre Hingabe fror ihn. Er hörte dem leisen Geplauder zu, das sich um den überfallartigen Angriff auf die Reichshauptstadt, das offensichtliche Versagen des Radarwarnsystems und die politische und militärische Weltlage drehte, wie sie sich nach des Führers Ableben und Köpflers Machtübernahme ergeben hatte. Aus jedem Wort sprachen Zuversicht, Siegeswille, Vertrauen in die neue Führung, in Partei und Wehrmacht. Das Großgermanische Reich war eine Weltmacht, die nicht mehr zerschlagen werden konnte. Andere Ansichten gab es nicht; und hätte es sie gegeben, wären sie nicht lautgeworden.
Es entging Höllriegl nicht, daß die drei Damen ihn mit Blicken streiften, aus denen unverhohlene Sympathie und Begehrlichkeit sprachen. Besonders die Zwergin, eine Verwachsene unbestimmbaren Alters mit schönem Gesicht und glühenden Werwolfaugen, verschlang ihn mit ihren Blicken, wenn die andern wegsahen. Um die peinliche Situation nicht auf die Spitze zu treiben, nahm er, Unbefangenheit heuchelnd, an der Unterhaltung teil, allerdings recht einsilbig. Den toten Führer mußte man geflissentlich aus dem Spiel lassen – diese Tendenz war nun allgemein – und die neue Staatsführung, also Köpfler und sein Werwolfgefolge, über alles stellen. Den Gesprächen konnte er entnehmen, daß der Herr und eine der Damen (Höllriegl war den vieren nicht vorgestellt worden) miteinander verheiratet waren, ein Fernsehansagerpaar, das früher am Strand von Sylt die polyglotte Reklameansage besorgt hatte. Sie honigblond und ebenso süß, mit jenen mütterlich-wogenden Formen, die bei der Deutschen Fernsehwelle und den übrigen vom Reich kontrollierten Sendern auf den Zentimeter genau vorgeschrieben waren. Er ein schlaksiger, breitschultriger Mann, der gutturales Deutsch sprach, mit dunklem Teint, energischen Gesichtszügen und melierten Schläfen, eine genormte Ski-Schönheit, wie sie in den Sportillustrierten immer wieder abgebildet war. Trotz der gedämpften Beleuchtung trug er eine nachtschwarze Sonnenbrille. Auch seinen Namen erfuhr Höllriegl: Monnikendam; er war Holländer, jedoch längst Reichsbürger, ein Freund von Anselmas verstorbenem Gatten. Die Monnikendams arbeiteten, da sie schichtweise frei hatten, nebenberuflich in der Abteilung von Frau Geldens. Ferner stellte sich heraus, daß die Bucklige eine Art politischer Schlüsselstellung im Gefolgschaftswesen des Amtes innehatte und die vierte, ein junges Mädchen – Höllriegl erinnerte sich jetzt, sie an Anselmas Mittagstisch gesehen zu haben –, ebenfalls im Auswärtigen beschäftigt war, eine dünne, braunhaarige Schwedin, deren Wohlgestalt und Gehaben an ein Mannequin erinnerten; sie wurde Helle gerufen. Ko Won kauerte auf dem Betonboden und beschäftigte sich lächelnd mit einer Solopartie Mah-dschong (Höllriegl kannte das Spiel).
Es schien hier stillschweigende Übereinkunft zu sein, keinerlei Anspielungen auf Dinge zu machen, wie sie die vier in Anselmas Wohnung beobachtet hatten. Aber ihre Blicke waren beredt genug. Höllriegls Phantasie gaukelte ihm vor, daß sie sich, durch die gebotenen Szenen angeregt, im Nebenzimmer einer Orgie hauptsächlich lesbischer Art hingegeben hatten (drei Weiber gegen einen Mann!). Theoretisch war
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