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Wenn das der Führer wüßte

Wenn das der Führer wüßte

Titel: Wenn das der Führer wüßte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Basil
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vollgepfropft mit jungen Leuten, die in zackigem Rhythmus immerfort nur ein Wort brüllten: „Ausra! – Ausra! – Ausra! – Ausra! – Ausra!“ Höllriegl verstand: Ausra war eine der furchtbarsten Vernichtungswaffen des Reiches, eine Rakete der Langstreckengruppe, nach der altbaltischen Göttin der Morgenröte Ausra benannt – zugleich aber bedeutete das Wort, militärisch abgekürzt, „ausradieren“ (im letzten Krieg hatte man „coventrisieren“ gesagt).
    Er fand den U-Bahn-Betrieb eingestellt, und so mußte er zu Fuß gehen. Es war beschwerlich; ein paarmal wurde er durch Streifen und Sperren aufgehalten. Je mehr er Anselma aus seinen Gedanken auszutilgen suchte, desto stärker, schmerzlicher, schneidender wurde der Wunsch, sie wiederzusehen, sie zu besitzen, den ihm angetanen Schimpf zu rächen. War das nicht lachhaft? Er nahm die Sache viel zu ernst. Solche Spiele gehörten zur gehobenen Unterhaltung gewisser Kreise, die sich langweilten. Anselma verkehrte in diesen Kreisen, mußte sich anpassen, wenn sie oben bleiben wollte. Möglicherweise zwang man sie dazu. Daß er überhaupt nach Beweggründen für ihre Handlungsweise suchte! War das nicht schon halbes Verzeihen und Vergessen? „Bleiben wir Freunde“, hatte sie gesagt.
    „Ausra! – Ausra! – Ausra!“

 
In den Katakomben
     
    Was liegt da für ein Erdwurm und beschaut sich inwendig?
    Das Märchen vom Krautesel

 
     
     
     
    Es ereignete sich hinter Schicklgrube, einem Dörfchen an der Landstraße von Schlewecke nach Bad Harzburg. Über Nacht waren die „kleinen“ Sperrzonen verlegt worden, und Höllriegl, der wie erinnerlich nur für diese eine Passiererlaubnis hatte, mußte den Umweg über Helmstedt, Braunschweig, Salzgitter und die „Freie Reichsstadt“ Goslar machen. Verkehr und Gegenverkehr waren auf der Autobahn spärlich gewesen, auf der Überholspur hätte man kampieren können. Es fehlten vor allem die Fernlaster, sie waren zum Großteil eingezogen worden. Auch mit Personenwagen wurden nur dringendste Fahrten unternommen. Und hoch in den Lüften dröhnte es leise, ohne Unterlaß.
    Nach dem Wetter der letzten Woche überraschte ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag, die Sonne blinzelte durchs Gewölk und ließ die Vorberge des Oberharzes in feuchtem Braun erglänzen. Die Luft war perlmutterfarben und blendete. Nachdem Höllriegl das in einer Mulde liegende Dorf hinter sich gelassen hatte, sah er ein mächtiges Bauwerk auf einem Hügel aufragen, der terrassenförmig zu einem fast wasserlosen Teich abfiel. Er hielt mit quietschenden Bremsen und betrachtete den Bau – zweifellos eine jener Totenburgen, die der Führer nach dem Sieg hatte errichten lassen. Eine Kette solcher Ehrenmale für die gefallenen Helden zog sich von der Biscaya über Ytemest, dem ehemaligen Hammerfest, und Erzengelstadt, am Ural und Kaukasus entlang, bis in den griechischen Süden. Die Totenburgen waren alle gleich, sie wirkten durch ihre archaischen Maße, ihre düstere Majestät. Rundum die Anlagen, kleine Eichenhaine, bemooste Steintreppen, aus Quadern gefügte Ständer mit den pfannenartigen Bronzeschalen für die Ehrenflamme, der Weiher – das alles war genormt. Das Mal hatte die Form eines Torbogens, grau und klotzig wie ein Hochbunker.
    Höllriegl war feierlich zumute. Immer wenn der Tod ihm nahekam, in Gesprächen oder auf Friedhöfen, überfiel ihn diese unmännliche, rührselige Stimmung; seine Augen wurden dann naß, und er mußte krampfhaft schlucken. Das Denkmal erinnerte ihn an Böcklins „Toteninsel“, die zu Haus in der guten Stube gehangen hatte. Mit Wehmut gedachte er seiner Eltern, besonders der Mutter, sie ruhten schon lange im Grab.
    Dann aber blitzte Ullas weißer Leib in seinen Gedanken auf, und sofort mußte er auch an Anselma denken. Wie oft schon heute! Eine Dame war frühmorgens am Telefon gewesen, als er reisefertig im Wagen saß. Frau Zweenemann hatte versucht, ihn zurückzurufen, er aber war losgefahren. Anselma sollte nur wissen, daß es keine Brücke mehr gab. (Kindischer Trotz!)
    Auf der langen Fahrt, die nun folgte, mit ihren häufigen Aufenthalten, Kontrollen, Durchmusterungen – nur WW-Leute, Wehrwölfe in Zivil, besorgten den Straßenüberwachungsdienst, das NSKK war anscheinend aus dem Verkehr gezogen worden –, hatte er Anselma immer wieder die Meinung gesagt. Es setzte Worte wie Peitschenhiebe. Eine Anselma aus Luft – eine Anselma, die nicht antwortete! Und dennoch traf ihn dann und wann der warme

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