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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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zerschossen von Tagesausflüglern, die ihre Zielsicherheit mit Steinen oder Kugeln unter Beweis hatten stellen wollen, und die drei Türen – eine an jedem Ende und eine mitten in der Längsseite, als wäre das Haus von Kindergartenkindern auf Millimeterpapier entworfen worden – hingen schief in den Angeln und standen wie immer weit offen. Überhaupt sah alles aus wie immer: unbewohnt, verlassen, allen Lebens beraubt. Mit klopfendem Herzen stieg sie aus, knallte die Tür des Pick-ups zu und ging zur mittleren Tür, die zum Hauptraum führte. Falls sie sah, wie Bax an dem schweren Gips zerrte und mit den sperrigen Krücken kämpfte, so drang es gar nicht zu ihr durch, denn ihr Sinn war nicht auf Höflichkeit oder Mitgefühl oder gar Liebe gerichtet. Was sie antrieb, war kalte Wut. Er rief ihr etwas nach, doch sie war bereits hineingegangen.
    Das Licht verblasste zu Grau. Schatten reckten sich an den Wänden. Auf dem Boden vor ihr konnte sie etwas Unregelmäßiges ausmachen, etwas, das nicht dorthin gehörte, und es dauerte einen Augenblick, bis sie im trüben Licht erkannte, was es war: ein blauer Rucksack mit geöffneter Deckelklappe, darin eine Schachtel Trockennahrung in silbrig glänzenden Tüten. Dahinter lagen Kleidungsstücke und Gerätschaften verstreut, Zeug, das in Fabriken hergestellt worden war, aufgerissene Plastikverpackungen, zerdrückte Dosen, drei übereinandergestapelte Doppel-Sixpacks Tecate mit feuerrotem Aufdruck. Auch der Geruch, an den sie sich erinnerte – sanft und botanisch, der Geruch von Trockenfäule, Schimmel und dürren Gräsern, deren Samen durch die zerbrochenen Fenster geflogen waren und sich in den Ritzen der Dielen festgesetzt hatten –, war jetzt anders, kupfern und hart, mit einer Grundnote von Öl, von Waffenöl, und da waren sie, die Gewehre, zwei, drei, vier, an die Rückwand des Raums gelehnt wie Ausstellungssstücke.
    Die Schlafsäcke lagen auf dem Boden des Hauptraums, daneben ein paar Kerosinlampen, etliche Jagdzeitschriften mit Themen wie Oregons Maultierhirschparadies oder Bären in den Ozarks – und eine meterlange Kühlkiste aus weißem und orangerotem Plastik, die wie eine Bank unter einem der kaputten Fenster stand. Sie hörte Bax ihren Namen rufen, gab aber keine Antwort. In der Kiste lagen, auf sulzig zerschmolzenes Eis gebettet, zwei in Folie verpackte Fleischstücke. Bei dem einen schien es sich um eine Leber zu handeln, bei dem anderen um vier oder fünf unbeholfen geschnittene Filets. Hinter ihr, an der Tür, hörte sie schwere Schritte und das Pochen und Schleifen der Krücken. Bax’ Stimme hallte durch die Leere: »Rita, verdammt, wo bist du?«
    Noch immer gab sie keine Antwort. Sie war zu wütend, und jede zerknautschte Zigarettenschachtel, jede zusammengeknüllte Unterhose, jeder fettige Lappen befeuerte ihre Wut aufs neue. Wofür hielten die das hier? Für ein Hotel? Eine Absteige? Leise fluchend ging sie die Treppe hinauf, zwei Stufen auf einmal. Am oberen Ende war eine Tür, und das war seltsam, denn sie erinnerte sich nicht, dort je eine Tür gesehen zu haben. Sie war sich nicht sicher, aber es sah so aus, als wären die Angeln neu oder jedenfalls geölt und von Rost befreit. Sie hob den Riegel an und stieß die Tür auf, und wieder war sie überrascht – oder nein: schockiert und empört.
    Der Raum war wie verwandelt. Die Dielen glänzten, als wären sie lackiert, oder wenn nicht lackiert, so doch gründlich gefegt und gewischt. Und die Fenster – es gab zwei, eins in der Seitenwand und eins am rückwärtigen Ende – waren mit Plastikplanen verschlossen, die mittels Klebeband sorgfältig an den Fensterrahmen befestigt waren. An der Rückwand stand ein Feldbett mit Laken, Decken, Kissen und Kissenbezug. An Nägeln, die in die Wand darüber geschlagen worden waren, hingen Jacken und Hemden, ein weiterer Rucksack – dieser in einfachem, stumpfem Khaki, als wäre er militärischer Herkunft – stand auf einem Stück Treibholz neben dem Bett, und an der Wand gegenüber hatte jemand aus Holzkisten eine Art Schreibtisch und einen Hocker gebaut. Das Schlimmste aber war, dass vor dem Bett ein Schaffell, ein gegerbtes Schaffell ausgebreitet war, damit der Schafmörder nicht an den Füßen fror, wenn er die Stiefel auszog, den Bogen spannte und die Stahlspitzen seiner Pfeile schärfte.
    »Rita?«
    Sie war erstarrt vor Hass. »Hier oben«, rief sie. »Ich bin oben.« Sie hörte Bax unten herumschlurfen und vor sich hin murmeln. Und dann, als brauchte sie

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