Wenn das Schlachten vorbei ist
Tag mit den Raben und den Jägern. Du weißt es vielleicht nicht, aber das war das größte Trauma meines Lebens –«
»Das und die Oxnard Junior High School.«
»Das ist kein Witz. Ich sage dir: Tiere haben ein Bewusstsein. Sie spüren Schmerz. Sie haben genausoviel Recht zu leben wie du oder ich.«
»Ich weiß noch«, sagt Rita, überhört den eindringlichen Appell, hebt einen tropfnassen Stiefel und legt den Knöchel auf ihr Knie, bevor sie sich seufzend zurücklehnt, »einmal, nach der Schur, als die Vaqueros gefeiert haben, weil die Plackerei vorbei war, da haben sie ein Lamm geschlachtet, weißt du noch? Und den Schädel, den Schädel haben sie in die Glut gelegt und dann aufgebrochen, um an das Hirn heranzukommen –«
»Ich will das nicht hören.«
»Und dann das gute cremige blasse Fett, das du dir immer auf das ofenfrische Brot gestrichen hast, als wäre es Butter. Wusstest du das, Dave? Anise hat sich praktisch von Lammfleisch ernährt.«
»Tja, ich ebenfalls«, sagt er und versucht, den Friedensstifter zu spielen. »Bis ich gesehen habe, wie falsch das ist. Aber wie auch immer, du weißt, dass wir diese Schweinejagd stoppen müssen. Ich meine, das ist doch verrückt. Niemand, nicht mal ein Schlachthofbesitzer, kann wollen, dass Tiere einfach so getötet werden, für nichts. Du doch auch nicht, oder?«
Er will wissen, ob sie auf ihrer Seite steht oder nicht, aber Anise antwortet für sie: »Nein, auf keinen Fall. Sie ist genauso dagegen wie wir. Wie jeder.«
Beide sehen Rita an. Der Hafen kommt näher, am Strand brechen sich weiß die Wellen, und die Büsche auf den Hügeln sind verdorrt und lückenhaft und warten auf den Regen. Sie stellt die Bierdose in den Getränkehalter vor ihr, hebt den Kopf und sieht erst Dave und dann ihre Tochter mit einem wilden, unverwandten Blick an. »Natürlich bin ich dagegen«, sagt sie und spuckt die Worte regelrecht aus. »Wäre doch schade um das schöne Fleisch.«
Nachdem er die beiden in einem schicken neuen französischen Restaurant, das Anise empfohlen worden war, zu einem sehr teuren Dinner eingeladen hat, in dessen Verlauf es zu einer bedauerlichen Diskussion mit dem Ober über die Zubereitung seiner Seezunge meunière kam und er gezwungen war, sie zweimal zurückzuschicken – Anise schnalzte tadelnd mit der Zunge und beklagte das Schicksal des armen Fisches (»Wenn man Vegetarier wird, dann ganz, Dave, alles andere ist bloß feige«), während Rita sich mit säuerlichem Lächeln winzige Häppchen ihres praktisch rohen Filet mignon in den Mund schob –, setzt er sie ohne weiteren Kommentar vor Anises Wohnung ab und fährt nach Hause, um den neuen Rasen zu inspizieren. Und wenn er zu schnell fährt und ein Polizist, der ihm entfernt bekannt vorkommt, ihn anhält und fragt, wieviel er getrunken hat und ob er weiß, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung in geschlossenen Ortschaften bei fünfundfünfzig Stundenkilometern liegt, und ihn mit einer Verwarnung davonkommen lässt, dann nur, weil der ganze Tag irgendwie … kompliziert war. Er folgt in Gedanken noch einmal der Kette der Ereignisse, die seine Stimmung gründlich verdorben haben – der Ärger in Prisoners’ Harbor, als auf einmal aus dem Nichts der Hubschrauber da war und sich vor das Boot setzte, bis die Paladin den Kurs änderte und aufs Meer hinausfuhr, wobei die blecherne Stimme von oben verkündete: »DIE INSEL IST FÜR ALLE BESUCHER GESPERRT, ICH WIEDERHOLE: DIE INSEL IST FÜR ALLE BESUCHER GESPERRT!«, Anise, die so lange brauchte, um sich umzuziehen, dass sie ihre Reservierung um eine Dreiviertelstunde verpassten und sich vor dem aufgeblasenen Oberkellner – natürlich ein Franzmann – erniedrigen mussten, um einen Tisch zu bekommen, und dann der Ober, der Fisch und die Art, wie Rita an ihrem Filet mignon saugte, als wollte sie sich keinen einzigen Blutstropfen entgehen lassen –, als das Tor beiseite rollt und er in die Einfahrt gleitet, willkommen geheißen von den mit Bewegungssensoren ausgestatteten Scheinwerfern über dem Garagentor.
Es ist nach Mitternacht. Er ist müde. Er ärgert sich. Seine Gedanken gehen nicht in die Tiefe. Die Wagentür öffnet sich, das Radio erstirbt mitten in einer Coverversion eines Stücks von einer Band, das er schon mindestens zehntausendmal gehört hat, und warum, Herrgott, können diese Heinis nicht mal was anderes spielen, irgendwas Entlegenes, Neues, Ungewöhnliches, die B-Seiten, nichts als B-Seiten, damit die Leute mal was anderes zu hören
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