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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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kriegen, bevor sie hingehen und sich erschießen? Er steht auf dem festen, harten Kopfsteinpflaster der Einfahrt und hat das vertraute Seefahrergefühl, als würde sich der Boden unter ihm bewegen. Einen Augenblick steht er einfach nur da und nimmt die nächtliche Kühle, das Funkeln der Sterne, die Stille und das gedämpfte Rauschen der Schnellstraße in sich auf. Und gerade als er die Taschenlampe aus dem Kofferraum holen und über den üppigen weichen Teppich des neuen Rasens schlendern will, um ihn zu bewundern und sich zu gratulieren, dass er fix und fertige Grassoden gekauft hat, anstatt den Rasen auszusäen und sich dann mit Unkraut, Vögeln und kahlen Stellen herumzuärgern, bemerkt er am Rand des Gartens eine Bewegung.
    Sein erster Gedanke – und er wappnet sich, ist drauf und dran, eine Warnung oder, besser noch, eine Drohung zu rufen – gilt Eindringlingen, Einbrechern, Dieben, doch dann sieht er die Schatten, es sind zwei, und sie ducken sich auf den Boden. Er denkt an die Hunde, aber die sind im Haus, wo er sie zurückgelassen hat. Es dauert einen Augenblick, bis er begreift, dass er es hier mit der ungezähmten Natur zu tun hat, mit Tieren aus freier Wildbahn, die gekommen sind, sich an dem gütlich zu tun, was er ihnen bereitet hat. Ganz langsam und übertrieben vorsichtig schiebt er sich am Wagen entlang und öffnet leise und mit zwei Händen – die eine dreht den Schlüssel, die andere verhindert, dass der Deckel aufspringt – den Kofferraum. Ein schwaches Blinzeln der Innenbeleuchtung, und dann hat er die Taschenlampe in der Hand und denkt: Coyote? Oder bloß ein Nachbarshund? Er schließt den Kofferraum und erstickt das Klicken des Schlosses mit der Hand.
    Er zwingt sich, ganz still zu stehen und zu lauschen, bis kleinste Geräusche aus den Schatten an sein Ohr dringen. Was hört er? Ein weiches, feuchtes Wischen, ein ganz leises Schnaufen oder Schmatzen, ein Rascheln, ein Saugen, dann nichts. Er hat beinahe Angst, die Füße zu heben, und so schlurft er voran, Stückchen für Stückchen, wobei er die Taschenlampe ausgestreckt vor sich hält wie ein Peilgerät: Er will näher herankommen, bevor er sie einschaltet, so nahe wie möglich, bevor das Licht aufflammt und die Tiere fliehen. Er spürt die Erregung, die sich in ihm aufbaut, das Locken der fremden, dunklen, verborgenen Welt, die in finsterer Nacht lebendig wird. Ein Schritt und noch ein Schritt. Und dann, am Rand des Rasens, wo Schatten in Schatten gehüllt sind, als hätte die Nacht unendliche Tiefen, als wäre die Nacht ein Ozean, als wäre er selbst unter Wasser, in einer Höhle, wo er nach blinden Höhlenfischen tastet, schaltet er die Lampe an.
    Zwei Waschbären starren ihm ins Gesicht, und ihre Augen glühen, als wären sie und nicht die Taschenlampe die Quelle dieses Lichts. Ihre graubehandschuhten Pfoten halten für einen Augenblick inne, und dann wenden die Tiere sich ab, als wäre er gar nicht vorhanden, und widmen sich ihrer Tätigkeit. Die, wie er sieht, darin besteht, zu graben. Sie beugen sich vor, wühlen mit den Pfoten im Rasen, setzen sich auf den Hintern und stopfen sich etwas in die im Dunkeln unsichtbaren Mäuler. Jeder Grashalm klammert sich an seinen Schatten, als Dave den Lichtkegel über den Rasen gleiten lässt und sieht, dass der neue Rasen bereits zahlreiche Löcher aufweist, regelrechte Krater, als hätten blutige Anfänger Golfschläge darauf geübt. Es dauert eine Sekunde – dies ist die Natur, dies sind wilde Tiere, er ist hier der Eindringling, und sie sind die angestammten Bewohner dieser Hügel, die ganze Küste hinauf bis nach Alaska, und zwar seit der Zeit, als die Gletscher sich zurückgezogen haben –, bis er schreit. »Verschwindet! Haut ab!« schreit er und versucht, sie mit dem Strahl der Taschenlampe festzunageln und zugleich in die Hände zu klatschen. Er rennt jetzt und sieht, wie die beiden schwankenden goldbraunen Gestalten sich widerwillig zurückziehen, über den ruinierten Rasen zur Mauer zockeln und diese mühelos überklettern.
    Nach einer genaueren Inspektion der Schäden ruft er am nächsten Morgen Bruce Diaz an, Wilsons Freund, dessen Leute den Rasen verlegt haben. Er lässt es achtmal läuten, legt auf – Geduld war noch nie seine Stärke – und wählt die Nummer erneut. Beim fünften Läuten meldet sich eine Frau auf spanisch – »¿Bueno?« –, und sein Kopf ist auf einmal ganz leer, doch dann fällt es ihm ein: »¿Quiero hablar con Bruce? ¿Por favor?«
    Er hört ein

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