Wenn das Schlachten vorbei ist
sämtliche Waschbären in Ihrer Gegend darum, wer als erster in die Falle darf. Und die Hälfte der Katzen und Opossums natürlich auch.«
Wieder hält er inne und hört das statische Rauschen in der Leitung. Eine Frage ist noch unbeantwortet, und die steigt jetzt auf wie ein Baumstamm, der lange unter Wasser gelegen hat und nun vom Sumpfgas an die Oberfläche getragen wird. »Okay, gut, aber wenn ich sie gefangen habe – was mache ich dann mit ihnen?«
Weinprobe. Für ihn ist das nichts als ein Euphemismus für ein Besäufnis am hellen Nachmittag, die Art von Aktivität, in die sich Touristen und Busladungen von Rentnern mit Inbrunst stürzen, aber wie sich herausstellte, war es dann doch ganz gut. Es erlöste ihn für ein paar Stunden von sich selbst, und nach dem zweiten Stopp – an einer Weinkellerei, die ihm überaus gefiel, wo die Keller kühl und feucht waren und die großen Eichenfässer in Reih und Glied standen wie Denkmäler für alle zirrhotischen Lebern – konnte er sich zum erstenmal seit Wochen, wie ihm schien, entspannen. Nicht dass er am Morgen zuvor, als sie aus dem Yachthafen ausgelaufen waren, nicht ein Nachlassen der Anspannung bemerkt hätte, doch als sie die Insel erreicht hatten, war er innerlich schon wieder ganz verknotet gewesen. Nein, diese Weinprobe war eine hübsche Abwechslung. Und Rita gefiel ihm: Sie schien ihn zu mögen, ja zu respektieren, nicht wie die Mutter seiner Exfrau, die ihn aus ihren schwarzen sizilianischen Augen angesehen hatte, als wäre er der Antichrist, und immer, wenn er den Raum betreten hatte, von ihrem Sessel aufgesprungen war und gerufen hatte: »O Gott, ist das seiner ?«
Auf der Terrasse eines kleinen Cafés in der bemüht auf putzig getrimmten Stadt Santa Ynez aßen sie ein sehr verspätetes Mittagessen – eigentlich war es ein Abendessen – und fuhren dann im dekantierten Sonnenschein des vergehenden Nachmittags auf die 154, über den San-Marcos-Pass und in großen Schleifen hinunter nach Santa Barbara. Santa Cruz, Santa Rosa und San Miguel lagen wie auf einem Tablett vor ihnen, die Perspektive veränderte sich immer wieder, während sie sich auf Serpentinen dem Talgrund näherten und sahen, wie die Nacht sich in der anschwellenden Düsternis vor ihnen verdichtete, wogegen die Inseln im Westen sich in roten Lichtschlieren verloren. Rita machte eine Bemerkung darüber, wie schön das sei, und Anise stimmte ihr zu. »Vielleicht sollte ich einen Song darüber schreiben«, flüsterte sie verschwörerisch. »Du könntest ihn ›Floating Islands‹ nennen«, sagte ihre Mutter, und obwohl er ganz ruhig war, obwohl er selbst dahinglitt wie eine schwebende Insel, konnte er sich die bissige Spitze nicht verkneifen: »Wie wär’s mit ›Killing Floor‹? Ach nein, das gibt’s ja schon.«
Zu Hause stellte er, noch immer ein bisschen beduselt, den BMW neben den Yukon in die Garage – »Lass uns zu dir fahren und dann vielleicht zu Fuß zu einem der Restaurants im Dorf gehen«, hatte Anise gesagt, und er hatte geantwortet, das sei eine hervorragende Idee, und keinerlei Schmerz gespürt. Dann dachte er an die Fallen, und er führte die Frauen im schwindenden Licht in den Garten, damit sie die von den Waschbären angerichteten Verwüstungen begutachten konnten. Die Fallen aufzustellen, das Ködertablett mit Erdnussbutter zu beschmieren und die Auslöser zu spannen, entwickelte sich zu einer Art Spiel. Irgendwann ging Anise ins Haus, um eine Flasche Wein zu holen, und er rief ihr nach, sie solle doch mal in der Speisekammer nachsehen, ob Sardinen da seien – es waren welche da –, und als sie zurückkam, legten sie in jeder Falle drei Sardinen auf die Erdnussbutter. Dann traten sie zufrieden zurück und nippten an ihrem Wein, während die Nacht sich herabsenkte.
Und jetzt, bei Tagesanbruch, erwacht er mit einem Ruck, denn irgendwas stimmt nicht, irgendwas ist ganz eindeutig nicht in Ordnung, aber was? Er hat geträumt … Wovon? Von Verfolgung, von Angst, von Gesichtern aus der Vergangenheit, in unmöglicher Gleichzeitigkeit erschienen, um seine Fehler und Unzulänglichkeiten zu tadeln. Von schwindelnder Höhe. Von einem tiefen Fall. Von Lachen, so hart und rauh wie Hass. Er setzt sich auf, schiebt sich die Dreadlocks aus dem Gesicht. Seine Kopfhaut juckt. Sein Magen rebelliert. Er hat leichte Kopfschmerzen, eine Tatsache, die gerade schleichend und leise zu ihm durchdringt. Er steht im Badezimmer am Waschbecken, starrt stumpf sein Spiegelbild an und stürzt
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