Wenn das Schlachten vorbei ist
Tür tritt, ist sie schon wieder in der Küche und beschränkt sich auf einfache Tätigkeiten: das Pitabrot toasten, die Karotten würfeln, die Tomaten in Scheiben schneiden, den Salat mischen. Hummus aus dem Plastikschälchen, eine dicke Scheibe Feta, so vollkommen, als hätte die Ziege sie selbst zur Welt gebracht. Irgendwo auf dem Bauernhof. Wo all die anderen Ziegen sind. Mäh, mäh, mäh.
Sie und Tim gehören nicht zu den Pärchen, die sich zur Begrüßung küssen oder in der Öffentlichkeit aneinanderhängen wie Einkaufstüten. Sie lassen einander Raum, geben einander Zeit anzukommen. Bevor sie noch »Hallo« sagen kann, ihre übliche Begrüßung, sitzt er auch schon am Tisch und öffnet ein Bier; sein Rucksack liegt offen auf dem Boden.
Der Blick durch das Küchenfenster geht auf Raffiapalmen vor einer weißverputzten, von Bougainvilleen überrankten Mauer, an deren Fuß sich Klivien und Frauenhaarfarne aus einem dick gemulchten Beet über einen überwässerten Rasen aus Bermudagras neigen, dessen tiefes, sattes Grün alles andere blass erscheinen lässt. Hinter der Mauer verströmt ein Eukalyptushain in der Regensaison ein durchdringendes Mentholaroma, so dass alles nach fermentierenden Hustenbonbons riecht, und jenseits der Eukalyptusbäume ist die Schneise der Eisenbahnlinie. Dahinter leuchten die hellrot verblassten Dachziegel des Hotels am Meer – das Meer selbst kann sie von hier aus gar nicht und vom ersten Stock aus so gerade eben sehen. Sie hat eine Aussicht, über die sie sich ärgert. Eine Aussicht, die so widersinnig ist wie nur was, und zwar nicht bloß, weil sie öde und zerklüftet und beinahe ausschließlich von fremden Spezies bevölkert ist, sondern weil sie den eigentlichen Grund dafür, in Sichtweite des Meeres zu wohnen, ad absurdum führt.
»Die Musik ist ganz schön laut«, bemerkt er.
Sie dreht sich um, die Hände halten im Halbieren der Tomaten inne. »Ich hab meinen iPod im Büro gelassen.«
Dazu hat er nichts zu sagen, obwohl sie weiß, wie sehr er Micah Stroud und Carmela Sexton-Jones und die anderen New-Wave-Folksänger hasst, die sie sich im Büro den größten Teil des Tages in zufälliger Reihenfolge anhört. Als sie sich kennenlernten, in der ersten Woche, legte sie eine CD auf, von der sie dachte, sie könnte ihm gefallen, und er trank erst einmal den größten Teil seiner Halbliterdose Guinness, bevor er sein Urteil sprach. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, ohne unhöflich zu sein oder so«, sagte er und sah sie so sanft wie möglich an, um zu zeigen, dass er nur versuchte, aufrichtig zu sein, »aber wie kann man sich dieses … dieses … wie immer man das nennen soll bloß anhören? Ich meine: Rock and Roll, ja, jederzeit – die White Stripes, die Strokes, die Queens of the Stone Age.« Es war eine Herausforderung, ein Test, und sie machte ihm keinen Vorwurf – eigentlich sprach es ja für ihn, denn um eine gute Beziehung zu haben, musste man ja nicht der Zwilling des anderen sein. Dennoch zuckte sie innerlich ein wenig zusammen. »Aber wenigstens haben sie was zu sagen«, erwiderte sie, »wenigstens singen sie über was anderes als Sex und Drogen.« »Was hast du gegen Sex?« konterte er, etwas zu schnell und mit einem ganz leisen Lächeln, und sie wusste, dass sie ihm in die Falle getappt war. Er hielt einen Augenblick inne und ließ das Lächeln breiter werden. »Oder, wo wir schon davon sprechen, gegen Drogen?«
»Ich hab in der Zeitung nachgesehen«, sagt er jetzt und erhebt die Stimme, um gegen die Musik anzukommen, »ob was über heute abend drinsteht.«
Obgleich sie angespannt ist, schießt ihr die Bezeichnung für das Verhalten, das er gerade gezeigt hat, durch den Kopf: Es ist der Lombard-Effekt, und damit ist gemeint, dass man unwillkürlich lauter spricht, um die Geräusche der Umgebung zu übertönen, etwa – das geläufigste Beispiel – das Summen der Stimmen in einem Restaurant. Sie geht von der Küche ins Wohnzimmer, um die Musik leiser zu stellen. Sogleich kehren die Autos und Lastwagen und hupenden Hupen in ihr Leben zurück, als wären sie nie fortgewesen. Warum die Schnellstraßen nicht in den Untergrund verlegen und die so gewonnenen Flächen in Parks umwandeln? Mit Spazierwegen. Mit Gemüsegärten für die Hungrigen. Mit Bäumen, Wildkräutern und so weiter. Wenn sie genug Geld hätte – so um die fünfhundert Milliarden –, würde sie sämtliche Grundstücke der Stadt kaufen, alle Gebäude abreißen, die Straßen entfernen und
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