Wenn das Schlachten vorbei ist
überzeugen müssen. Und ihre Eigentumswohnung – überdurchschnittlich teuer und unterdurchschnittlich schallgedämmt – liegt genau im Kriegsgebiet zwischen der Schnellstraße davor und den Eisenbahngleisen dahinter, ein Umstand, den sie ertragen kann, wegen der Nähe zum Strand, der kühlen Nachtluft und der Option (die sie, sogar wenn es regnet, fast immer wahrnimmt), zu jeder Jahreszeit bei offenem Fenster zu schlafen, fest eingehüllt in ihre Decke.
Heute aber, heute abend, ist sie gereizt und versagt sich auch den Trost, den ein Glas Wein spenden würde. Oder vielmehr Sake on the rocks, denn das ist es, was sie am liebsten trinken würde. Sake aus der Flasche im Kühlschrank, über knisternde Eiswürfel in einem Cocktailglas gegossen, einem der sechs besonderen Gläser aus einer Serie von acht, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat, unten durchsichtig, oben mattiert und mit dem B der Besitzerin graviert. Bei dem Gedanken daran schluckt sie unwillkürlich. Nur ein halbes Glas, ein Viertel. Die Karotten – glatt, geschält und feucht in der Zellophanverpackung – fühlen sich an, als wären sie lebendig, wenn sie sie festhält und ihrer natürlichen Neigung entgegenwirkt, wegzurollen und sich der Messerklinge zu entziehen. Mit einem Zischen ergießt sich Wasser aus dem Hahn, in den Tiefen des Siebes tanzen die Tomaten im Brausestrahl. Auf der Schnellstraße ertönt eine Hupe, ein plötzliches verärgertes, tadelndes Blöken, eine zweite Hupe antwortet und dann noch eine. Sie stellt sich die Fahrer vor, freiwillig eingesperrt, die eine Hand umklammert das Lenkrad, die andere das Handy. Sie gieren. Allesamt. Sie gieren nach Dingen, nach Platz, nach Mitteln, nach Erfüllung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse, doch sie bekommen nichts davon – oder jedenfalls nicht genug. Nie genug.
Natürlich gehört auch sie zu ihnen, obgleich ihre Bedürfnisse bescheidener sind – wenigstens denkt sie das gern. Nein, der Sake ist keine echte Versuchung – es geht auch ohne. Es muss. Wenn sie irgendein hervorstechendes Merkmal hat, dann ist es Selbstbeherrschung. Und Energie. Und Grips. Die Leute sehen sie an und denken, sie sei eine verkniffene Fachidiotin – jedenfalls diejenigen, die sie zu Fall bringen wollen –, doch das ist sie keineswegs. Aber sie kann sich konzentrieren. Alles zu seiner Zeit und an seinem Ort. Und die Zeit für den Sake – aus dem Glas ihrer Großmutter mit dem eingravierten B für Boyd – ist nach dem Vortrag. Oder dem Informationsabend. Oder der Kreuzigung. Je nachdem, was die Fanatiker diesmal daraus machen werden.
Die Wut beginnt in den Schultern und strahlt in ihre Arme und bis in die Finger, das Messer, die stummen, störrischen Karotten aus. Plötzlich ist sie aufgebracht, wirft das Messer hin und stapft ins Wohnzimmer, wo sie die Lautstärke aufdreht und durch das Fenster auf die Ausfahrt der Schnellstraße und die starre Reihe der Neophyten sieht, die Caltrans dort hat pflanzen lassen, um die Straße vor ihren Blicken zu verbergen – oder sie vor den Blicken der Fahrer, obwohl sie nicht annimmt, dass die Bürokraten in Sacramento ihr Wohl im Sinn hatten, als sie eine Firma beauftragten, zu beiden Seiten der Straße abwechselnd dunkelrot, weiß und lachsrot blühenden Oleander zu pflanzen. Wenn dort draußen ein Vogel oder eine Eidechse oder sonst irgendein lebendes Wesen außer Homo sapiens ist, so ist es nicht zu entdecken. Sie sieht durch die Lücken zwischen den Büschen lediglich das unregelmäßige Aufblitzen von Licht auf funkelnden Stoßstangen, Radkappen und Schwellern, während die endlose Reihe der Kohlendioxid speienden Fahrzeuge vorbeizieht, und denkt: Sieben Milliarden bis 2013, sieben Milliarden, und es werden immer mehr. Und wo sollen die alle hin?
Während sie dort steht und Micah Stroud sich mit seinem nasalen Louisiana-Slang über einem Tiefdrucksystem aus rasenden Akkorden und einem synkopierten Bass zu tonalen Höhen aufschwingt, löst sich einer der Wagen aus dem Fluss – oder vielmehr dem immer wieder stockenden Fluss – und jagt über die Ausfahrt direkt vor ihr. Es ist ein weißer Prius, bucklig, hässlich, langweilig, aber heilbringend, und im Gegensatz zu den anderen weißen Priusen auf der Straße sitzt in diesem ihr Partner – soll heißen: ihr Lebensgefährte Tim Sickafoose –, und er starrt sie mit einem Ausdruck verblüfften Erkennens an und winkt, während der Wagen aus ihrem Blickfeld verschwindet und in die Einfahrt einbiegt.
Als er durch die
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