Wenn dein dunkles Herz mich ruft (German Edition)
schwer, so schwer. Er zog sie auf den Boden, drückte sie nieder. Oder waren das die Schatten? Oder war alles das Ergebnis ihrer Angst und ihrer Erschöpfung?
Vor ihr war plötzlich etwas anderes als Dunkelheit und Staub und Lärm. Ein runder heller Fleck, der mit jedem Schritt größer wurde und der ihr die Kraft gab, noch schneller zu laufen. Die Sonne.
Die Höhle warf sie mit einem Beben erneut gegen die Wand, ihr Kopf prallte hart gegen eine Kante. Kimberly spürte das Blut, das an ihrer Stirn herablief, warm und klebrig, und wie sich der Staub darin verfing. Doch die Insel konnte sie nicht mehr aufhalten. Jetzt nicht mehr.
Ihre Beinmuskeln spannten sich, suchten Halt auf dem bebenden Boden und drückten sich kräftig ab. Das Sonnenlicht rauschte Kimberly entgegen, wie ein Fisch, der aus dem Wasser sprang, flog sie zurück in die Wirklichkeit. Sand wirbelte auf, dämpfte ihren Sturz nur kaum. Die Möwe über ihr kreischte erschrocken und verschwand irgendwo am Horizont. Kimberly spürte den heißen Sand unter ihrem Rücken, vergrub ihre Finger darin. Wellen umspülten ihre Füße, griffen wieder nach ihr. Sollten sie sie holen. Nur weg hier.
Kimberly blinzelte in den grellen Himmel, wollte die Augen mit der Hand abschirmen, aber dazu fehlte ihr die Kraft. Langsam schlossen sich ihre Augenlider. Das Rauschen des Meeres war das letzte, was sie hörte.
Kristall-Licht
Captain Barron stand noch immer an der Reling der Holy Devi und starrte mit unbewegter Miene auf das Ruderboot, das die sinkende Insel mittlerweile erreicht hatte, um die junge Piratin zurückzubringen. Der salzige Wind blies die schulterlangen, aschblonden Haare aus seinem wettergegerbten Gesicht, zeigte die Narbe, die an seiner linken Schläfe begann und irgendwo in seinem Nacken endete. Ein Andenken an vergangene Zeiten.
Nur ein kleiner Muskel an seinem linken Auge zuckte, während er beobachtete, wie die zwei Piraten, die er losgeschickt hatte, Kimberly in das Ruderboot legten. Das Meer war wild, es griff nach ihnen, wollte sie nicht gehen lassen. Seine Finger waren kalt und nass, zogen an dem kleinen Boot, wollten es mit der Insel hinab in die Tiefe reißen.
Barrons rissige Hände krallten sich fester um die Reling, das Holz knackte unter seinem Griff. Die Wellen umspülten das Ufer immer heftiger, stießen zum Zentrum des kleinen Eilands vor, um es für immer ins nasse Grab des Vergessens zu ziehen.
Ihn ließ nicht kalt, was er dort sah, gewiss nicht. Aber die Crew durfte seine Sorge um das Mädchen und vor allem um den Stein nicht bemerken, durfte keine Schwäche erkennen. So lange er beobachtet wurde, durfte er sich seine Gedanken nicht anmerken lassen, schon gar nicht die, die um das Mädchen kreisten. Die Zeiten waren hart. Die Crew brauchte einen Captain, der nicht zweifelte, nicht zögerte. Sie brauchten keinen rührseligen Captain, sonst würden sie ihm niemals folgen, würden niemals tun, was sie tun mussten. Sie mussten glauben, was er ihnen sagte, alles. Bedingungslos. Das Holz unter seinen Händen knirschte erneut, ein dreckiger Fingernagel splitterte weiter ab.
Die Holy Devil schaukelte weiter sanft auf den Wellen, das Meer versuchte nicht, das Schiff ebenfalls zu verschlingen. Das kleine Beiboot hatte sie mittlerweile erreicht, die Piraten tauten es fest und hievten Kimberly an Bord. Sie war nur halb bei Bewusstsein, sah sich irritiert um. Ihre Augen fanden seine und ihr Blick wurde hart, kalt. Die schwarzen Locken hingen ihr strähnig und verdreckt im Gesicht, aber das zornige Funkeln ihrer grünen Augen konnten sie nicht verdecken. Smaragdaugen.
Barron runzelte die Stirn, er war es noch immer nicht gewohnt, dass sich ihre Wut gegen ihn richtete. In letzter Zeit geschah es öfters, sie dachte zu viel nach, zweifelte, obwohl sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Sie war erwachsen geworden in all der Zeit, er hatte es nur nicht bemerkt. Ihre ruhige, kalte Wut jagte ihm innerlich einen Schauer über den Rücken. Wenn sie so da stand wie jetzt, nass und zitternd, und ihn einfach nur anstarrte, beunruhigte ihn das mehr als die Prügeleien, die er tagtäglich erlebte. Mit offener Gewalt konnte er umgehen. Mit der Wut einer Frau nicht. Wie wütend würde sie erst werden, wenn sie die Lüge um seinen Bruder aufdeckte? Wenn sie erfuhr, dass er, Captain Barron, gar nicht ihr Onkel war?
Ein Raubtier, dachte Barron. Wie ein hungriges, wildes Raubtier steht sie da und lauert.
„Hast du ihn?“, hörte er sich selbst
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