Wenn dein dunkles Herz mich ruft (German Edition)
immer wieder von ihren Ponyfransen verdeckt wurden. Dann eilte sie aus dem Haus und stolperte beinahe über die Stufe vor der Haustür in eine Pfütze. Sie hatte mal wieder zu lange getrödelt, wie fast jeden Morgen. Sie würde es wohl nie lernen, in den fünf Semestern, die sie bereits die Uni in Köln besuchte, war sie noch nie entspannt aus dem Haus gegangen und sie war mehr als einmal zu spät gekommen. Dabei konnte sie Unpünktlichkeit eigentlich nicht leiden und es war ihr furchtbar peinlich, wenn sie als letzte einen überfüllten Raum betrat. Aber heute musste sie einfach pünktlich sein. Ihr Dozent würde sie killen, wenn sie zu spät kam und wenn sie jetzt nicht rannte, verpasste sie den Bus. Trotz Jacke fröstelte sie, und ein kalter Wind wehte ihr die schulterlangen, glatten Haare aus dem Gesicht. Die Luft fühlte sich klamm an und beim Rennen musste sie einigen größeren Pfützen ausweichen. Nässe tat ihren grauen Wildlederstiefeln nicht gut und sie schalt sich selbst, diese Schuhe gewählt zu haben. Auf Absätzen rannte es sich auch nicht gut, egal, wie flach diese waren. Und ihre kurzen Beine waren nicht gerade die schnellsten.
Gott, sie hasste joggen.
Es roch noch immer nach dem Regen der vergangenen Nacht. Unbewusst nahm sie wahr, dass das Auto ihres Vaters nicht in der Einfahrt stand. Entweder war er immer noch oder schon wieder im Dienst und dem unberührten Essen nach zu urteilen… Wenn er wirklich noch immer unterwegs war, wollte sie ihm nicht begegnen, bevor er geduscht und einen großen Latte Macchiato getrunken hatte.
Milch mit einem Schluck Kaffee und einer großen Portion Zucker, dachte sie schmunzelnd. Sie kannte keinen anderen Mann, der seinen Kaffee so trank – aber jede Menge Frauen, sie eingeschlossen. Mama trinkt ihn immer schwarz, dachte sie dann. In den Semesterferien, wenn der ganze Stress um Hausarbeiten, Prüfungen und der Erstsemesterfahrt, die sie planen musste, vorbei war, würde sie sich mit ihrer Mutter auf einen Kaffee treffen. Wenn sie Geld für eine Fahrkarte hatte. Und wenn ihre Mutter überhaupt da war. Seit sich ihre Eltern vor ungefähr zehn Jahren getrennt hatten, fuhr sie regelmäßig nach Stuttgart, wo ihre Mutter nun mit einem neuen Mann lebte.
Keuchend und mit schmerzenden Beinen erreichte sie gleichzeitig mit dem Bus die Haltestelle Rodenkirchen Bahnhof. Der Busfahrer grinste sie spöttisch an, als sie heftig atmend Platz nahm – es war nicht das erste Mal, dass sie so knapp zur Haltestelle kam und es war auch nicht das erste Mal, dass es bei genau diesem Fahrer passierte. Leonie spürte, wie ihre erhitzten Wangen vor Scham noch röter wurden und kramte nach ihrem Referat, bis ihr einfiel, dass sie genau das nicht tun wollte. Vorher noch mal alles durchlesen brachte nichts und machte sie eigentlich nur verrückt. Sie glaubte noch immer, dass sie es auch locker ohne Notizen würde halten können, aber trotzdem gelang es ihr nicht vollkommen, sich in der halbstündigen Fahrt von Rodenkirchen zur Universität zu entspannen. Vermutlich lag es am Wetter. Ihr Blick wanderte zum grauen, wolkenverhangenen Himmel. Sie mochte Regen, aber die Klammheit am Tag danach war bedrückend und seltsam. Fröstelnd streifte Leonie diese Gedanken ab. Der Himmel weinte nicht, schließlich war er kein Lebewesen - auch wenn sie manchmal das Gefühl hatte, seine Trauer greifen zu können – an Tagen, an denen sie sich seltsam einsam fühlte.
Widerstrebend wandte sie den Blick ab und versuchte stattdessen die wenigen Fahrgäste zu belauschen, aber so früh morgens waren nicht viele bereit, sich zu unterhalten. Eine Asiatin saß mit blauen Kopfhörern auf den Ohren in der hintersten Ecke des Busses und schien zu schlafen, ein älteres Pärchen warf sich immer wieder verliebte Blicke zu und ein Mann im Anzug starrte immer wieder auf die Uhr. Leonie seufzte. So würde sie keine Ablenkung finden.
Als sie die Endhaltestelle Universität erreicht hatte, sah sie schon, bevor sie ausgestiegen war, dass etwas nicht stimmte. Ein Teil der äußeren Spur der Unterführung unter dem Albertus-Magnus-Platz war gesperrt und ein Teil des Platzes selbst wohl auch. Mit gemischten Gefühlen eilte sie den Weg entlang und sah schon von Weitem die Beamten, die überall auf dem Platz standen und mit einzelnen Studenten redeten. Was da wohl passiert war?
Leonie hatte augenblicklich ein mulmiges Gefühl. Das alles konnte nichts Gutes bedeuten. Ihr Vater Jakob Spatz sagte zwar immer, sie solle nicht so
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